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Iphigenie auf Tauris - Goethe Johann Wolfgang - Страница 11


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Er schien zu staunen und verlangte dringend,

Die seltne Feier erst dem Konige

Zu melden, seinen Willen zu vernehmen;

Und nun erwart ich seine Wiederkehr.

Pylades:

Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr

Um unsre Schlafe! Warum hast du nicht

Ins Priesterrecht dich weislich eingehullt?

Iphigenie:

Als eine Hulle hab ich's nie gebraucht.

Pylades:

So wirst du, reine Seele, dich und uns

Zugrunde richten. Warum dacht ich nicht

Auf diesen Fall voraus und lehrte dich

Auch dieser Fordrung auszuweichen!

Iphigenie:

Schilt

Nur mich, die Schuld ist mein, ich fuhl es wohl;

Doch konnt ich anders nicht dem Mann begegnen,

Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte,

Was ihm mein Herz als Recht gestehen mu?te.

Pylades:

Gefahrlicher zieht sich's zusammen; doch auch so

La? uns nicht zagen oder unbesonnen

Und ubereilt uns selbst verraten. Ruhig

Erwarte du die Wiederkunft des Boten,

Und dann steh fest, er bringe, was er will:

Denn solcher Weihung Feier anzuordnen

Gehort der Priesterin und nicht dem Konig.

Und fordert er, den fremden Mann zu sehn,

Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist,

So lehn es ab, als hieltest du uns beide

Im Tempel wohlverwahrt. So schaff uns Luft,

Da? wir aufs eiligste, den heil'gen Schatz

Dem rauh unwurd'gen Volk entwendend, fliehn.

Die besten Zeichen sendet uns Apoll,

Und eh wir die Bedingung fromm erfullen,

Erfullt er gottlich sein Versprechen schon.

Orest ist frei, geheilt! — Mit dem Befreiten

O fuhret uns hinuber, gunst'ge Winde,

Zur Felseninsel, die der Gott bewohnt;

Dann nach Myken, da? es lebendig werde,

Da? von der Asche des verloschnen Herdes

Die Vatergotter frohlich sich erheben

Und schones Feuer ihre Wohnungen

Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch

Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du

Bringst uber jene Schwelle Heil und Leben wieder,

Entsuhnst den Fluch und schmuckest neu die Deinen

Mit frischen Lebensbluten herrlich aus.

Iphigenie:

Vernehm ich dich, so wendet sich, o Teurer,

Wie sich die Blume nach der Sonne wendet,

Die Seele, von dem Strahle deiner Worte

Getroffen, sich dem su?en Troste nach.

Wie kostlich ist des gegenwart'gen Freundes

Gewisse Rede, deren Himmelskraft

Ein Einsamer entbehrt und still versinkt.

Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen,

Gedank ihm und Entschlu?; die Gegenwart

Des Liebenden entwickelte sie leicht.

Pylades:

Leb wohl! Die Freunde will ich nun geschwind

Beruhigen, die sehnlich wartend harren.

Dann komm ich schnell zuruck und lausche hier

Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink —

Was sinnest du? Auf einmal uberschwebt

Ein stiller Trauerzug die freie Stirne.

Iphigenie:

Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,

So zieht mir vor der Seele leichte Sorge

Und Bangigkeit voruber.

Pylades:

Furchte nicht!

Betruglich schlo? die Furcht mit der Gefahr

Ein enges Bundnis: beide sind Gesellen.

Iphigenie:

Die Sorge nenn ich edel, die mich warnt,

Den Konig, der mein zweiter Vater ward,

Nicht tuckisch zu betrugen, zu berauben.

Pylades:

Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du.

Iphigenie:

Es ist derselbe, der mir Gutes tat.

Pylades:

Das ist nicht Undank, was die Not gebeut.

Iphigenie:

Es bleibt wohl Undank; nur die Not entschuldigt.

Pylades:

Vor Gottern und vor Menschen dich gewi?.

Iphigenie:

Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.

Pylades:

Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz.

Iphigenie:

Ich untersuche nicht, ich fuhle nur.

Pylades:

Fuhlst du dich recht, so mu?t du dich verehren.

Iphigenie:

Ganz unbefleckt genie?t sich nur das Herz.

Pylades:

So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;

Das Leben lehrt uns, weniger mit uns

Und andern strenge sein; du lernst es auch.

So wunderbar ist dies Geschlecht gebildet,

So vielfach ist's verschlungen und verknupft,

Da? keiner in sich selbst noch mit den andern

Sich rein und unverworren halten kann.

Auch sind wir nicht bestellt, uns selbst zu richten;

Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen,

Ist eines Menschen erste, nachste Pflicht:

Denn selten schatzt er recht, was er getan,

Und was er tut, wei? er fast nie zu schatzen.

Iphigenie:

Fast uberredst du mich zu deiner Meinung.

Pylades:

Braucht's Uberredung, wo die Wahl versagt ist?

Den Bruder, dich und einen Freund zu retten,

Ist nur ein Weg, fragt sich's, ob wir ihn gehn?

Iphigenie:

O la? mich zaudern! denn du tatest selbst

Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen,

Dem du fur Wohltat dich verpflichtet hieltest.

Pylades:

Wenn wir zugrunde gehen, wartet dein

Ein hartrer Vorwurf, der Verzweiflung tragt.

Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt,

Da du, dem gro?en Ubel zu entgehen,

Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.

Iphigenie:

O trug ich doch ein mannlich Herz in mir,

Das, wenn es einen kuhnen Vorsatz hegt,

Vor jeder andern Stimme sich verschlie?t!

Pylades:

Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand

Der Not gebietet, und ihr ernster Wink

Ist oberstes Gesetz, dem Gotter selbst

Sich unterwerfen mussen. Schweigend herrscht

Des ew'gen Schicksals unberatne Schwester.

Was sie dir auferlegt, das trage: tu,

Was sie gebeut. Das andre wei?t du. Bald

Komm ich zuruck, aus deiner heil'gen Hand

Der Rettung schones Siegel zu empfangen.

Funfter Auftritt

Iphigenie allein :

Ich mu? ihm folgen: denn die Meinigen

Seh ich in dringender Gefahr. Doch ach!

Mein eigen Schicksal macht mir bang und banger.

O soll ich nicht die stille Hoffnung retten,

Die in der Einsamkeit ich schon genahrt?

Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll

Nie dies Geschlecht mit einem neuen Segen

Sich wieder heben? — Nimmt doch alles ab!

Das beste Gluck, des Lebens schonste Kraft

Ermattet endlich: warum nicht der Fluch?

So hofft ich denn vergebens, hier verwahrt,

Von meines Hauses Schicksal abgeschieden,

Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen

Die schwerbefleckte Wohnung zu entsuhnen!

Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder

Vom grimm'gen Ubel wundervoll und schnell

Geheilt, kaum naht ein lang erflehtes Schiff,

Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten,

So legt die taube Not ein doppelt Laster

Mit ehrner Hand mir auf: das heilige,

Mir anvertraute, viel verehrte Bild

Zu rauben und den Mann zu hintergehn,

Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke.

O da? in meinem Busen nicht zuletzt

Ein Widerwille keime! der Titanen,

Der alten Gotter tiefer Ha? auf euch,

Olympier, nicht auch die zarte Brust

Mit Geierklauen fasse! Rettet mich

Und rettet euer Bild in meiner Seele!

Vor meinen Ohren tont das alte Lied —

Vergessen hatt ich's und verga? es gern —,

Das Lied der Parzen, das sie grausend sangen,

Als Tantalus vom goldnen Stuhle fiel:

Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig

War ihre Brust und furchtbar ihr Gesang.

In unsrer Jugend sang's die Amme mir

Und den Geschwistern vor, ich merkt es wohl:

Es furchte die Gotter

Das Menschengeschlecht!

Sie halten die Herrschaft

In ewigen Handen

Und konnen sie brauchen,

Wie's ihnen gefallt.

Der furchte sie doppelt,

Den je sie erheben!

Auf Klippen und Wolken

Sind Stuhle bereitet

Um goldene Tische.

Erhebet ein Zwist sich:

So sturzen die Gaste

Geschmaht und geschandet

In nachtliche Tiefen

Und harren vergebens,

Im Finstern gebunden,

Gerechten Gerichtes.

Sie aber, sie bleiben

In ewigen Festen

An goldenen Tischen.

Sie schreiten vom Berge

Zu Bergen hinuber:

Aus Schlunden der Tiefe

Dampft ihnen der Atem

Erstickter Titanen,

Gleich Opfergeruchen,

Ein leichtes Gewolke.

Es wenden die Herrscher

Ihr segnendes Auge

Von ganzen Geschlechtern

Und meiden, im Enkel

Die ehmals geliebten,

Still redenden Zuge

Des Ahnherrn zu sehn.

So sangen die Parzen;

Es horcht der Verbannte

In nachtlichen Hohlen,

Der Alte, die Lieder,

Denkt Kinder und Enkel

Und schuttelt das Haupt.

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