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Grieche sucht Griechin - Дюрренматт Фридрих - Страница 10


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«Morgen. In der Heloisen-Kapelle wenn möglich — und wenn Sie die Trauung vollziehen könnten, wäre ich glücklich.»

Der Bischof war irgendwie verlegen.

«Eigentlich ist dies die Aufgabe des amtierenden Predigers«, stellte er fest.»Thürcker vollzieht die Trauungen vortrefflich, hat auch ein besonders wohltönendes Organ.»

«Ich bitte Sie, eine Ausnahme zu machen«, bat Archilochos,»wenn ich jetzt schon Weltkirchenrat werden soll.»

«Hm. Glauben Sie, mit den gesetzlichen Formalitäten durchzukommen?«fragte der Bischof. Irgend etwas war ihm sichtlich peinlich.

«Ich werde Maître Dutour damit beauftragen.»

«Dann ja«, gab der Bischof endlich nach.»Sagen wir morgen, in der Heloisen-Kapelle, nachmittags um drei? Dürfte ich den Namen der Braut noch erfahren und ihre Personalien?»

Der Bischof notierte sich das Nötige.

«Herr Bischof«, sagte Archilochos,»meine beabsichtigte Heirat ist wohl ein zureichender Grund, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen, doch nicht der wichtigste, wenn ich so sagen darf, wenn es nicht ein Frevel ist, so was überhaupt auszusprechen, denn es kann doch nicht leicht etwas Wichtigeres geben, als die Verpflichtung einzugehen, mit einer Frau zusammenzusein ein Leben lang. Aber dennoch ist mir in dieser Stunde etwas noch viel wichtiger, weil es mir so schwer auf dem Herzen liegt.»

«Sprechen Sie sich aus, lieber Generaldirektor«, antwortete der Bischof freundlich.»Courage. Wälzen Sie sich Ihre Sorgen von der Seele, sei es nun eine menschliche oder eine allzumenschliche Last.»

«Herr Bischof«, sagte Archilochos verzagt und setzte sich in seinem Lehnstuhl aufrechter, schlug auch die Beine übereinander,»verzeihen Sie mir, wenn ich vielleicht wirres Zeug rede. Noch diesen Morgen war ich ganz anders gekleidet, schäbig, ich sage es frei heraus, und der Anzug, den ich trug, als Sie mich Sonntag sahen, war mein Konfirmandenanzug, und jetzt stecke ich plötzlich in den teueren Kleidungsstücken von O'Neill-Papperer und Vatti. Ich bin geniert, Herr Bischof, Sie müssen doch denken, ich sei nun völlig der Welt und ihrem Blendwerk verfallen, wie Prediger Thürcker immer sagt.»

«Im Gegenteil«, lächelte der hohe geistliche Herr:»Ein angenehmes Äußeres, eine gefällige Kleidung ist nur zu loben, besonders heutzutage, wo es doch in gewissen Kreisen, die einer gottlosen Philosophie nacheifern, Mode geworden ist, sich auffällig salopp und beinahe bettlerhaft zu kleiden, mit farbigen Hemden über den Hosen und ähnlichen seltsamen Greueln. Eine anständige Mode und Christentum schließen einander keineswegs aus.»

«Herr Bischof«, fuhr Archilochos, mutiger geworden, fort:»Es kann einen Christenmenschen wohl beunruhigen, denke ich, wenn mit einem Male Unglück über Unglück über ihn hereinbricht. Wie ein Hiob mag er sich da vorkommen, dem die Söhne und Töchter dahinstarben, und der mit Armut und Aussatz behaftet wurde; aber um so mehr wird er sich dabei doch trösten können und das Unglück als eine Folge seiner Sünden ansehen dürfen. Doch wenn das Gegenteil eintritt, wenn sich Glücksfall über Glücksfall häuft, da glaube ich, muß doch erst eigentlich Grund zur Beunruhigung sein, denn das ist dann doch völlig unerklärlich: Wo wäre ein Mensch, der dies alles verdiente?»

«Mein lieber Herr Archilochos«, lächelte Bischof Moser,»die Schöpfung ist nun eben so gemacht, daß dieser Fall kaum einmal eintritt. Die Kreatur ist seufzend, wie Paulus sagt, und so seufzen denn wir alle unter mehr oder weniger sich häufenden Unglücksfällen, die wir freilich auch nicht zu tragisch nehmen dürfen und eben mehr im Sinne Hiobs begreifen sollen, was Sie so schön und richtig gesagt haben, fast wie Prediger Thürcker. Ein Fall, wie Sie ihn vorhin andeuteten, diese Häufung jedes nur möglichen Glücks, dürfte wohl schwerlich irgendwo aufzutreiben und vorzuweisen sein.»

«Ich bin so ein Fall«, sagte Archilochos.

Es war still im Studierzimmer, und es war immer dunkler geworden; der Tag draußen völlig erloschen, finstere Nacht herrschte, und von der Straße her drang fast kein Laut, nur hin und wieder das Summen eines vorbeifahrenden Autos, die verhallenden Schritte eines Fußgängers.

«Ich werde von einem Glück nach dem ändern betroffen«, fuhr der ehemalige Unterbuchhalter leise fort, in seinem tadellosen Straßenanzug, eine Chrysantheme im Knopfloch (der silbergraue Edenhut, die blendendweißen Handschuhe und der elegante Pelzmantel befanden sich in der Garderobe),»auf eine Heiratsannonce im >Le Soir< hin meldet sich das reizendste Mädchen, welches mich auf den ersten Blick liebt, und das ich auf den ersten Blick liebe, wie in einem billigen Kino geht alles zu, fast schäme ich mich, davon zu reden, die ganze Stadt beginnt mich zu grüßen, wie ich mit diesem Mädchen durch die Straßen gehe, der Staatspräsident, Sie, alle möglichen wichtigen Persönlichkeiten, und heute mache ich die unwahrscheinlichste Karriere in weltlichen und kirchlichen Bezirken, steige aus dem Nichts, von der jämmerlichen Existenz eines Unterbuchhalters zum Generaldirektor und zum Weltkirchenrat auf — das ist doch alles unerklärlich und beunruhigt mich tief.»

Der Bischof sagte lange kein Wort, sah mit einem Male alt und grau aus und stierte vor sich hin, hatte auch die Dannemann in den Aschenbecher gelegt, wo sie nutzlos und erkaltet liegenblieb.

«Herr Archilochos«, sagte der Bischof endlich, nun mit einem Male nicht mehr lispelnd und mit veränderter, fester Stimme,»Herr Archilochos, all diese Vorgänge, die Sie mir da an diesem stillen Abend unter vier Augen erzählen, sind freilich seltsam und außergewöhnlich. Was nun auch für Ursachen ihnen zu Grunde liegen, so glaube ich doch, daß nicht diese uns unbekannten Ursachen (hier zitterte seine Stimme, und das Lispeln machte sich einen Moment lang wieder bemerkbar) wichtig oder gar entscheidend sind, liegen sie doch in der Sphäre der Menschen, und hier sind wir alle Sünder, sondern wichtig ist, was dies alles bedeutet: daß Sie ein begnadeter Mensch sind, auf den sich eben die Gnadenbeweise aufs sichtbarste häufen. Nicht der Unterbuchhalter Archilochos hat sich nun zu behaupten, sondern der Generaldirektor und Weltkirchenrat Archilochos, und es kann sich nur darum handeln, daß Sie nun auch beweisen, ob Sie all diese Gnade verdienen. Nehmen Sie diese Ereignisse ebenso demütig hin, wie Sie es tun würden, wenn es Unglücksfälle wären, das ist alles, was ich Ihnen darüber zu sagen verstehe. Vielleicht haben Sie nun einen besonders schweren Weg zu gehen, den Weg des Glücks, der nur darum den meisten Menschen nicht auferlegt wird, weil sie ihn noch weniger zu begehen wüßten als den Weg des Unglücks, welchen wir hienieden in der Regel zu wandeln haben. Leben Sie jetzt wohl (mit diesen Worten erhob er sich), wir sehen uns morgen in der Heloisen-Kapelle wieder, wenn Ihnen wohl vieles klarer geworden ist, und ich kann nur beten, daß Sie meine Worte nicht vergessen, was sich auch fürderhin mit Ihnen ereignet.

Nach dem Gespräch mit Bischof Moser in dessen verrauchter Stube mit den Klassikern und den Bibeln an den Wänden, mit dem Schreibtisch und den schweren Vorhängen, und nachdem auch Bruder Bibi, zeitunglesend (>Le Soir<) unter des Bischofs Fenster, sein Geld erhalten hatte, wäre der Weltkirchenrat am liebsten unverzüglich nach dem Boulevard Saint-Père gefahren; doch schlug es erst sechs von der Jesuitenkirche her am Place Guillaume, und so beschloß er, doch bis acht zu warten, wie es ausgemacht war, auch wenn er sich schmerzlich ausmalte, daß so Chloés Dienstmädchenexistenz um zwei unnötige Stunden verlängert wurde. Er nahm sich vor, noch heute mit ihr ins Ritz zu ziehen, traf auch die nötigen Anstalten, bestellte zwei Zimmer, eines im ersten und eines im fünften Stock, weder das Mädchen in Verlegenheit, noch sich als Weltkirchenrat in ein falsches Licht zu bringen. Dann versuchte er Maître Dutour aufzutreiben, leider vergeblich. Es hieß, der Advokat und Notar sei ausgegangen, eine Hausübergabe zu vollziehen. So hatte er denn mehr als anderthalb Stunden Zeit. Er bereitete sich vor, kaufte Blumen, erkundigte sich nach einem geeigneten Restaurant, ins alte alkoholfreie gegenüber dem Weltgesundheitsamt wünschte er nicht zu gehen, und auch >Chez Auguste< kam nicht gut in Frage, fühlte er doch mit geheimem Schmerz, daß er sich mit seiner eleganten Kleidung dort ausgeschlossen hatte. Was wollte er nun in einem Anzug O'Neill-Papperers neben dem Maillot jaune Monsieur Bielers! Er beschloß deshalb, wenn auch mit schlechtem Gewissen, im >Ritz< selber zu speisen, alkoholfrei natürlich, bestellte einen Tisch und begab sich mit freudiger Erwartung in die Passap-Ausstellung, die er zufällig in der Galerie Nadelör, dem >Ritz< gerade gegenüber, entdeckte, und die des Andrangs wegen auch abends besucht werden konnte. Es waren auch Passaps letzte Bilder ausgestellt (Winkel von 60°, Ellipsen und Parabeln), die Archilochos mit Begeisterung inmitten von Amerikanerinnen, Journalisten und Malern andächtig betrachtete, mit seinen Blumen (weiße Rosen) durch die hellen Säle wandernd. Doch stutzte er vor einem Bild in Kobaltblau und Ocker, auf welchem doch eigentlich nichts anderes als zwei Ellipsen und eine Parabel zu sehen waren. Er starrte das Bild entgeistert mit rotem Kopf an, die Blumen krampfhaft umklammernd, schoß mit einem Male davon, von panischem Entsetzen gepackt und schweißgebadet, auch von einem Schüttelfrost überfallen, und stürzte sich in ein Taxi, nicht ohne sich vorher bei Herrn Nadelör, der im schwarzen Smoking lächelnd und händereibend neben der Kasse stand, nach der Adresse des Malers erkundigt zu haben; worauf der Kunsthändler, ohne einen Mantel zu nehmen, Archilochos sogleich nachfuhr, auch mit einem Taxi, seine Prozente sicherzustellen, vermutete er doch einen geheimen Kauf. Passap wohnte in der Rue Funèbre in der Altstadt, die das Taxi (jenes mit Nadelör dicht hintendrein) über die Marschall-Vögeli-Allee erreichte, nur mit großer Mühe freilich, da die Anhänger Fahrcks' gerade eine Massenkundgebung veranstalteten, mit den Bildern des Anarchisten auf langen Stangen, mit roten Fahnen und riesigen Transparenten >Weg mit dem Staatspräsidenten!<, >Verhindert den Vertrag von Lugano!< usw. Irgendwo hielt Fahrcks selbst eine Rede. Tosendes Gebrüll und Gekreisch erfüllte die Luft, Pfiffe gellten, Pferdegetrampel, und wie nun die Polizei mit Gummiknütteln und Wendrohren zu hantieren begann, wurden auch das Taxi des Generaldirektors und jenes des Kunsthändlers begossen, der unglücklicherweise wohl aus Neugier ein Fenster geöffnet hatte. Doch bogen in diesem Augenblick beide Fahrzeuge mit ihren fluchenden Chauffeuren bei Vrener und Pott in die Altstadt ein. Die schlecht gepflasterten Straßen stiegen steil hinauf an baufälligen Häusern und Kaschemmen vorbei. In Scharen standen Dirnen herum, wie schwarze Vögel, winkten und zischten, und so kalt war es, daß sich die nassen Automobile schon längst mit Eis überzogen hatten. Vor Nummer dreiundvierzig (wo Passap wohnte), in der schlecht beleuchteten Rue Funèbre, stieg Archilochos, die weißen Rosen immer noch im Arm, denn auch aus einem Märchenfahrzeug, das mit funkelnden und klirrenden Eiszapfen behangen war, und hieß den Taxifahrer warten, von Straßenjungen umlagert, die sich an seine Hosenbeine klammerten, drang dann an einer bösartigen und betrunkenen Concierge vorbei ins Innere des alten, hohen Hauses und begann endlose Treppen zu steigen, die so morsch waren, daß sein Fuß einigemale durch die Stufen brach und er, ans hölzerne Geländer geklammert, im Leeren hing. Er stieg mühsam von Etage zu Etage, Sprießen in den schmerzenden Händen, fast im Dunkeln, forschte bei den alten Türen nach, ob Passaps Name irgendwo zu finden sei, den Atem Nadelörs hinter sich, den er immer noch nicht beachtete. Es war bitter kalt im Treppenhaus, irgendwo klimperte ein Klavier, und irgendwo schlug ein Fenster auf und zu. Hinter einer Tür kreischte eine Frau und johlte ein Mann, und es roch nach wüsten Orgien. Archilochos stieg immer höher, sank wieder einmal bis zum Knie ein, geriet in ein Spinnennetz, über seine Stirne lief ein dickes, halberfrorenes Ungeziefer, welches er ärgerlich fortwischte. Endlich fand er, den Pelzmantel von Vatti und das schöne neue Kleid von O'Neill-Papperer verstaubt und die Hosen schon aufgerissen, doch mit heilen Blumen, am Ende einer schmalen und steilen Estrich-Treppe quer auf einer wackligen Türe den Namen Passaps riesenhaft mit Kreide geschmiert. Er klopfte. Zwei Treppen weiter unten lauerte in der eisigen Kälte Nadelör. Keine Antwort. Er klopfte noch ein zweites, dann ein drittes, viertes Mal. Niemand. Der Weltkirchenrat drückte die Falle nieder, die Türe war unverschlossen, und er trat ein.

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