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Clavigo - Goethe Johann Wolfgang - Страница 7


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Dritter Akt

Guilberts Wohnung

Sophie Guilbert. Marie Beaumarchais.

Marie.

Du hast ihn gesehen? Mir zittern alle Glieder! Du hast ihn gesehen? ich war nah an einer Ohnmacht, als ich horte, er kame, und du hast ihn gesehn? Nein, ich kann, ich werde, nein, ich kann ihn nie wieder sehn.

Sophie.

Ich war au?er mir, als er hereintrat; denn ach! liebt ich ihn nicht, wie du, mit der vollsten, reinsten, schwesterlichsten Liebe? Hat mich nicht seine Entfernung gekrankt, gemartert? — Und nun, den Ruckkehrenden, den Reuigen zu meinen Fu?en — Schwester! es ist so was Bezauberndes in seinem Anblick, in dem Ton seiner Stimme. Er —

Marie.

Nimmer, nimmermehr!

Sophie.

Er ist noch der alte, noch ebendas gute, sanfte, fuhlbare Herz, noch ebendie Heftigkeit der Leidenschaft. Es ist noch ebendie Begier, geliebt zu werden, und das angstliche, marternde Gefuhl, wenn ihm Neigung versagt wird. Alles! alles! Und von dir spricht er, Marie! wie in jenen glucklichen Tagen der feurigsten Leidenschaft; es ist, als wenn dein guter Geist diesen Zwischenraum von Untreu und Entfernung selbst veranla?t habe, um das Einformige, Schleppende einer langen Bekanntschaft zu unterbrechen und dem Gefuhl eine neue Lebhaftigkeit zu geben.

Marie.

Du redst ihm das Wort?

Sophie.

Nein, Schwester, auch versprach ich's ihm nicht. Nur, meine Beste, seh ich die Sachen, wie sie sind. Du und der Bruder, ihr seht sie in einem allzu romantischen Lichte. Du hast das mit gar manchem guten Kinde gemein, da? dein Liebhaber treulos ward und dich verlie?! Und da? er wiederkommt, reuig seinen Fehler verbessern, alle alte Hoffnungen erneuern will — das ist ein Gluck, das eine andere nicht leicht von sich sto?en wurde.

Marie.

Mein Herz wurde rei?en!

Sophie.

Ich glaube dir. Der erste Anblick mu? auf dich eine empfindliche Wirkung machen — und dann, meine Beste, ich bitte dich, halt diese Bangigkeit, diese Verlegenheit, die dir alle Sinne zu ubermeistern scheint, nicht fur eine Wirkung des Hasses, fur keinen Widerwillen. Dein Herz spricht mehr fur ihn, als du es glaubst, und eben darum traust du dich nicht, ihn wiederzusehen, weil du seine Ruckkehr so sehnlich wunschest.

Marie.

Sei barmherzig!

Sophie.

Du sollst glucklich werden. Fuhlt ich, da? du ihn verachtetest, da? er dir gleichgultig ware, so wollt ich kein Wort weiter reden, so sollt er mein Angesicht nicht mehr sehen. Doch so, meine Liebe — Du wirst mir danken, da? ich dir geholfen habe, diese angstliche Unbestimmtheit zu uberwinden, die ein Zeichen der innigsten Liebe ist.

Die Vorigen. Guilbert. Buenko.

Sophie.

Kommen Sie, Buenco! Guilbert, kommen Sie! Helft mir dieser Kleinen Mut einsprechen, Entschlossenheit, jetzt, da es gilt.

Buenco.

Ich wollte, da? ich sagen durfte: Nehmt ihn nicht wieder an!

Sophie.

Buenco!

Buenco.

Mein Herz wirft sich mir im Leib herum bei dem Gedanken: Er soll diesen Engel noch besitzen, den er so schandlich beleidigt, den er an das Grab geschleppt hat. Und besitzen? — warum? — wodurch macht er das all wieder gut, was er verbrochen hat? — Da? er wiederkehrt, da? ihm auf einmal beliebt, wiederzukehren und zu sagen:»Jetzt mag ich sie, jetzt will ich sie!«— Just als ware diese treffliche Seele eine verdachtige Ware, die man am Ende dem Kaufer doch noch nachwirft, wenn er auch schon durch die niedrigsten Gebote und judisches Ab- und Zulaufen bis aufs Mark gequalt hat. Nein, meine Stimme kriegt er nicht, und wenn Mariens Herz selbst fur ihn sprache. — Wiederzukommen, und warum denn jetzt? — jetzt? — Mu?te er warten, bis ein tapferer Bruder kame, dessen Rache er furchten mu?, um wie ein Schulknabe zu kommen und Abbitte zu tun? — Ha! er ist so feig, als er nichtswurdig ist!

Guilbert.

Ihr redet wie ein Spanier, und als wenn Ihr die Spanier nicht kenntet. Wir schweben diesen Augenblick in einer gro?ern Gefahr, als ihr alle nicht seht.

Marie.

Bester Guilbert!

Guilbert.

Ich ehre die unternehmende Seele unsers Bruders, ich habe im stillen seinem Heldengange zugesehn und wunsche, da? alles gut ausschlagen moge, wunsche, da? Marie sich entschlie?en konnte, Clavigo ihre Hand zu geben, denn —

lachelnd

ihr Herz hat er doch. —

Marie.

Ihr seid grausam.

Sophie.

Hor ihn! ich bitte dich, hor ihn!

Guilbert.

Dein Bruder hat ihm eine Erklarung abgedrungen, die dich vor den Augen aller Welt rechtfertigen soll, und die wird uns verderben.

Buenco.

Wie?

Marie.

O Gott!

Guilbert.

Er stellte sie aus in der Hoffnung, dich zu bewegen. Bewegt er dich nicht, so mu? er alles anwenden, um das Papier zu vernichten; er kann's, er wird's. Dein Bruder will es gleich nach seiner Ruckkehr von Aranjuez drucken und ausstreuen. Ich furchte, wenn du beharrest, er wird nicht zuruckkehren.

Sophie.

Lieber Guilbert!

Marie.

Ich vergehe!

Guilbert.

Clavigo kann das Papier nicht auskommen lassen. Verwirfst du seinen Antrag und er ist ein Mann von Ehre, so geht er deinem Bruder entgegen, und einer von beiden bleibt; und dein Bruder sterbe oder siege, er ist verloren. Ein Fremder in Spanien! Morder dieses geliebten Hoflings! — Schwester, es ist ganz gut, da? man edel denkt und fuhlt; nur, sich und die Seinigen zugrunde zu richten —

Marie.

Rate mir, Sophie, hilf mir!

Guilbert.

Und, Buenco, widerlegen Sie mich!

Buenco.

Er wagt's nicht, er furchtet fur sein Leben; sonst hatt er gar nicht geschrieben, sonst bot er Marien seine Hand nicht an.

Guilbert.

Desto schlimmer; so findet er hundert, die ihm ihren Arm leihen, hundert, die unserm Bruder tuckisch auf dem Wege das Leben rauben. Ha! Buenco, bist du so jung? Ein Hofmann sollte keine Meuchelmorder im Sold haben?

Buenco.

Der Konig ist gro? und gut.

Guilbert.

Auf denn! Durch all die Mauern, die ihn umschlie?en, die Wachen, das Zeremoniell und all das, womit die Hofschranzen ihn von seinem Volke geschieden haben, dringen Sie durch und retten Sie uns! — Wer kommt?

Clavigo kommt.

Clavigo.

Ich mu?! Ich mu?!

Marie tut einen Schrei und fallt Sophien in die Arme.

Sophie.

Grausamer! in welchen Zustand versetzen Sie uns!

Guilbert und Buenco treten zu ihr.

Clavigo.

Ja, sie ist's! Sie ist's! Und ich bin Clavigo. — Horen Sie mich, Beste, wenn Sie mich nicht ansehen wollen! Zu der Zeit, da mich Guilbert mit Freundlichkeit in sein Haus aufnahm, da ich ein armer unbedeutender Junge war, da ich in meinem Herzen eine unuberwindliche Leidenschaft fur Sie fuhlte, war's da Verdienst an mir? Oder war's nicht vielmehr innere Ubereinstimmung der Charaktere, geheime Zuneigung des Herzens, da? auch Sie fur mich nicht unempfindlich blieben, da? ich nach einer Zeit mir schmeicheln konnte, dies Herz ganz zu besitzen? Und nun — bin ich nicht ebenderselbe? Warum soll ich nicht hoffen durfen? warum nicht bitten? Wollten Sie einen Freund, einen Geliebten, den Sie nach einer gefahrlichen, unglucklichen Seereise lange fur verloren geachtet, nicht wieder an Ihren Busen nehmen, wenn er unvermutet wiederkame und sein gerettetes Leben zu Ihren Fu?en legte? Und habe ich weniger auf einem sturmischen Meere diese Zeit geschwebet? Sind unsere Leidenschaften, mit denen wir im ewigen Streit leben, nicht schrecklicher, unbezwinglicher als jene Wellen, die den Unglucklichen fern von seinem Vaterlande verschlagen! Marie! Marie! Wie konnen Sie mich hassen, da ich nie aufgehort habe, Sie zu lieben? Mitten in allem Taumel, durch all den verfuhrerischen Gesang der Eitelkeit und des Stolzes hab ich mich immer jener seligen unbefangenen Tage erinnert, die ich in glucklicher Einschrankung zu Ihren Fu?en zubrachte, da wir eine Reihe von bluhenden Aussichten vor uns liegen sahen. — Und nun, warum wollten Sie nicht mit mir alles erfullen, was wir hofften? Wollen Sie das Gluck des Lebens nun nicht ausgenie?en, weil ein dusterer Zwischenraum sich unsern Hoffnungen eingeschoben hatte? Nein, meine Liebe, glauben Sie, die besten Freuden der Welt sind nicht ganz rein; die hochste Wonne wird auch durch unsere Leidenschaften, durch das Schicksal unterbrochen. Wollen wir uns beklagen, da? es uns gegangen ist wie allen andern, und wollen wir uns strafbar machen, indem wir diese Gelegenheit von uns sto?en, das Vergangene herzustellen, eine zerruttete Familie wieder aufzurichten, die heldenmutige Tat eines edlen Bruders zu belohnen und unser eigen Gluck auf ewig zu befestigen? — Meine Freunde, um die ich's nicht verdient habe, meine Freunde, die es sein mussen, weil Sie Freunde der Tugend sind, zu der ich ruckkehre, verbinden Sie Ihr Flehen mit dem meinigen! Marie!

Er wirft sich nieder.

Marie! Kennst du meine Stimme nicht mehr? Vernimmst du nicht mehr den Ton meines Herzens? Marie! Marie!

Marie.

O Clavigo!

Clavigo springt auf und fa?t ihre Hand mit entzuckten Kussen.

Sie vergibt mir, sie liebt mich!

Er umarmt den Guilbert, den Buenco.

Sie liebt mich noch! O Marie, mein Herz sagte mir's! Ich hatte mich zu deinen Fu?en werfen, stumm meinen Schmerz, meine Reue ausweinen wollen; du hattest mich ohne Worte verstanden, wie ich ohne Worte meine Vergebung erhalte. Nein, diese innige Verwandtschaft unserer Seelen ist nicht aufgehoben; nein, sie vernehmen einander noch wie ehemals, wo kein Laut, kein Wink notig war, um die innersten Bewegungen sich mitzuteilen. Marie — Marie — Marie! —

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