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Clavigo - Goethe Johann Wolfgang - Страница 11


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Clavigo.

Nein, Carlos; es gehe, wie es wolle, das kann, das werd ich nicht leiden! Beaumarchais ist ein wurdiger Mensch, und er soll in keinem schimpflichen Gefangnisse verschmachten um seiner gerechten Sache willen. Einen andern Vorschlag, Carlos, einen andern!

Carlos.

Pah! pah! Kindereien! Wir wollen ihn nicht fressen, er soll wohl aufgehoben und versorgt werden, und lang kann's auch nicht wahren. Denn siehe, wenn er spurt, da? es Ernst ist, kriecht sein theatralischer Eifer gewi? zum Kreuz, er kehrt bedutzt nach Frankreich zuruck und dankt auf das hoflichste, wenn man ja seiner Schwester ein jahrliches Gehalt aussetzen will, warum's ihm vielleicht einzig und allein zu tun war.

Clavigo.

So sei's denn! Nur verfahrt gut mit ihm!

Carlos.

Sei unbesorgt! — Noch eine Vorsicht! Man kann nicht wissen, wie's verschwatzt wird, wie er Wind kriegt, und er uberlauft dich, und alles geht zugrunde. Drum begib dich aus deinem Hause, da? auch kein Bedienter wei?, wohin. La? nur das Notigste zusammenpacken. Ich schicke dir einen Burschen, der dir's forttragen und dich hinbringen soll, wo dich die heilige Hermandad selbst nicht findet. Ich hab so ein paar Mauslocher immer offen. Adieu.

Clavigo.

Leb wohl!

Carlos.

Frisch! Frisch! Wenn's vorbei ist, Bruder, wollen wir uns laben.

Guilberts Wohnung

Sophie Guilbert. Marie Beaumarchais, mit Arbeit

Marie.

So ungestum ist Buenco fort?

Sophie.

Das war naturlich. Er liebt dich, und wie konnte er den Anblick des Menschen ertragen, den er doppelt hassen mu??

Marie.

Er ist der beste, tugendhafteste Burger, den ich je gekannt habe.

Ihr die Arbeit zeigend.

Mich dunkt, ich mach es so? Ich zieh das hier ein, und das Ende steck ich hinauf. Es wird gut stehn.

Sophie.

Recht gut. Und ich will Pailleband zu dem Haubchen nehmen! es kleid't mich keins besser. Du lachelst?

Marie.

Ich lache uber mich selbst. Wir Madchen sind doch eine wunderliche Nation: kaum heben wir den Kopf nur ein wenig wieder, so ist gleich Putz und Band, was uns beschaftigt.

Sophie.

Das kannst du dir nicht nachsagen; seit dem Augenblick, da Clavigo dich verlie?, war nichts imstande, dir eine Freude zu machen.

Marie fahrt zusammen und sieht nach der Tur.

Sophie.

Was hast du?

Marie beklemmt.

Ich glaubte, es kame jemand! Mein armes Herz! O, es wird mich noch umbringen. Fuhl, wie es schlagt, von dem leeren Schrecken!

Sophie.

Sei ruhig. Du siehst bla?; ich bitte dich, meine Liebe!

Marie , auf die Brust deutend.

Es druckt mich hier so. — Es sticht mich so. — Es wird mich umbringen.

Sophie.

Schone dich!

Marie.

Ich bin ein narrisches, ungluckliches Madchen. Schmerz und Freude haben mit all ihrer Gewalt mein armes Leben untergraben. Ich sage dir, es ist nur halbe Freude, da? ich ihn wiederhabe. Ich werde das Gluck wenig genie?en, das mich in seinen Armen erwartet; vielleicht gar nicht.

Sophie.

Schwester, meine liebe Einzige! Du nagst mit solchen Grillen an dir selber.

Marie.

Warum soll ich mich betrugen?

Sophie.

Du bist jung und glucklich und kannst alles hoffen.

Marie.

Hoffnung! O der su?e einzige Balsam des Lebens bezaubert oft meine Seele. Mutige jugendliche Traume schweben vor mir und begleiten die geliebte Gestalt des Unvergleichlichen, der nun wieder der Meine wird. O Sophie, wie reizend er ist! Seit ich ihn nicht sah, hat er — ich wei? nicht, wie ich's ausdrucken soll — es haben sich alle gro?e Eigenschaften, die ehemals in seiner Bescheidenheit verborgen lagen, entwickelt. Er ist ein Mann worden, und mu? mit diesem reinen Gefuhle seiner selbst, mit dem er auftritt, das so ganz ohne Stolz, ohne Eitelkeit ist, er mu? alle Herzen wegrei?en. — Und er soll der Meinige werden? — Nein, Schwester, ich war seiner nicht wert! — Und jetzt bin ich's viel weniger!

Sophie:

Nimm ihn nur und sei glucklich! — Ich hore deinen Bruder!

Beaumarchais kommt.

Beaumarchais.

Wo ist Guilbert?

Sophie.

Er ist schon eine Weile weg; lang kann er nicht mehr ausbleiben.

Marie.

Was hast du, Bruder? —

aufspringend und ihm um den Hals fallend.

Lieber Bruder, was hast du?

Beaumarchais.

Nichts! La? mich, meine Marie!

Marie.

Wenn ich deine Marie bin, so sag mir, was du auf dem Herzen hast!

Sophie.

La? ihn! Die Manner machen oft Gesichter, ohne just was auf dem Herzen zu haben.

Marie.

Nein, nein. Ich sehe dein Angesicht nur wenige Zeit; aber schon druckt es mir alle deine Empfindungen aus, ich lese jedes Gefuhl dieser unverstellten, unverdorbenen Seele auf deiner Stirne. Du hast etwas, das dich stutzig macht. Rede, was ist's?

Beaumarchais.

Es ist nichts, meine Lieben. Ich hoffe, im Grunde ist's nichts. Clavigo —

Marie.

Wie?

Beaumarchais.

Ich war bei Clavigo. Er ist nicht zu Hause.

Sophie.

Und das verwirrt dich?

Beaumarchais.

Sein Pfortner sagt, er sei verreist, er wisse nicht, wohin; es wisse niemand, wie lange. Wenn er sich verleugnen lie?e! Wenn er wirklich verreist ware! Wozu das? Warum das?

Marie.

Wir wollen's abwarten.

Beaumarchais.

Deine Zunge lugt. Ha! Die Blasse deiner Wangen, das Zittern deiner Glieder, alles spricht und zeugt, da? du das nicht abwarten kannst. Liebe Schwester!

Er fa?t sie in seine Arme.

An diesem klopfenden, angstlich bebenden Herzen schwor ich dir. Hor mich, Gott, der du gerecht bist! Horet mich an, alle seine Heiligen! Du sollst geracht werden, wenn er — die Sinnen vergehn mir uber dem Gedanken — wenn er ruckfiele, wenn er doppelten gra?lichen Meineids sich schuldig machte, unsers Elends spottete — Nein, es ist, es ist nicht moglich, nicht moglich — Du sollst geracht werden!

Sophie.

Alles zu fruh, zu voreilig. Schone ihrer, ich bitte dich, mein Bruder!

Marie setzt sich.

Sophie.

Was hast du? du wirst ohnmachtig.

Marie.

Nein, nein. Du bist gleich so besorgt.

Sophie reicht ihr Wasser.

Nimm das Glas!

Marie.

La? doch! wozu soll's? — Nun meinetwegen, gib her.

Beaumarchais.

Wo ist Guilbert? wo ist Buenco? Schick nach ihnen, ich bitte dich.

Sophie ab.

Wie ist dir, Marie?

Marie.

Gut, ganz gut! Denkst du denn, Bruder—?

Beaumarchais.

Was, meine Liebe?

Marie.

Ach!

Beaumarchais.

Der Atem wird dir schwer?

Marie.

Das unbandige Schlagen meines Herzens versetzt mir die Luft.

Beaumarchais.

Habt ihr denn kein Mittel? Brauchst du nichts Niederschlagendes?

Marie.

Ich wei? ein einzig Mittel, und darum bitt ich Gott schon lange.

Beaumarchais.

Du sollst's haben, und ich hoffe, von meiner Hand.

Marie.

Schon gut.

Sophie kommt.

Sophie.

Soeben gibt ein Kurier diesen Brief ab; er kommt von Aranjuez.

Beaumarchais.

Das ist das Siegel und die Hand unsers Gesandten.

Sophie.

Ich hie? ihn absteigen und einige Erfrischungen zu sich nehmen; er wollte nicht,

weil er noch mehr Depeschen habe.

Marie.

Willst du doch, Liebe, das Madchen nach dem Arzte schicken?

Sophie.

Fehlt dir was? Heiliger Gott! was fehlt dir?

Marie.

Du wirst mich angstigen, da? ich zuletzt kaum traue, ein Glas Wasser zu begehren — Sophie! — Bruder! — Was enthalt der Brief? Sieh, wie er zittert! wie ihn aller Mut verla?t!

Sophie.

Bruder, mein Bruder!

Beaumarchais wirft sich sprachlos in einen Sessel und la?t den Brief fallen.

Sophie.

Mein Bruder!

Sie hebt den Brief auf und liest.

Marie.

La? mich ihn sehn! ich mu? —

Sie will aufstehn.

Weh! Ich fuhl's. Es ist das Letzte. Schwester, aus Barmherzigkeit den letzten schnellen Todessto?! Er verrat uns! —

Beaumarchais aufspringend.

Er verrat uns!

An die Stirn schlagend und auf die Brust.

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