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Der Mann von f?nfzig Jahren - фон Гёте Иоганн Вольфганг - Страница 6


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«Die Art dieser jungen, verfuhrerischen Witwe ist mir nicht unbekannt; weiblichen Umgang scheint sie abzulehnen und nur eine Frau um sich zu leiden, die ihr keinen Eintrag tut, ihr schmeichelt und, wenn ihre stummen Vorzuge sich nicht klar genug dartaten, sie noch mit Worten und geschickter Behandlung der Aufmerksamkeit zu empfehlen wei?. Zuschauer, Teilnehmer an einer solchen Reprasentation mussen Manner sein, daher entsteht die Notwendigkeit, sie anzuziehen, sie festzuhalten. Ich denke nichts Ubles von der schonen Frau, sie scheint anstandig und behutsam genug, aber eine solche lusterne Eitelkeit opfert den Umstanden auch wohl etwas auf, und, was ich fur das Schlimmste halte: nicht alles ist reflektiert und vorsatzlich, ein gewisses gluckliches Naturell leitet und beschutzt sie, und nichts ist gefahrlicher an so einer gebornen Kokette als eine aus der Unschuld entspringende Verwegenheit.»

Der Major, nunmehr auf den Gutern angelangt, widmete Tag und Stunde der Besichtigung und Untersuchung. Er fand sich in dem Falle, zu bemerken, da? ein richtiger, wohlgefa?ter Hauptgedanke in der Ausfuhrung mannigfaltigen Hindernissen und dem Durchkreuzen so vieler Zufalligkeiten unterworfen ist, in dem Grade, da? der erste Begriff beinahe verschwindet und fur Augenblicke ganz und gar unterzugehen scheint, bis mitten in allen Verwirrungen dem Geiste die Moglichkeit eines Gelingens sich wieder darstellt, wenn wir die Zeit als den besten Alliierten einer unbesiegbaren Ausdauer uns die Hand bieten sehen.

Und so ware denn auch hier der traurige Anblick schoner, ansehnlicher, vernachlassigter, mi?brauchter Besitzungen zu einem trostlosen Zustande geworden, hatte man nicht durch das verstandige Bemerken einsichtiger Okonomen zugleich vorausgesehen, da? eine Reihe von Jahren, mit Verstand und Redlichkeit benutzt, hinreichend sein werde, das Abgestorbene zu beleben und das Stockende in Umtrieb zu versetzen, um zuletzt durch Ordnung und Tatigkeit seinen Zweck zu erreichen.

Der behagliche Obermarschall war angelangt, und zwar mit einem ernsten Advokaten, doch gab dieser dem Major weniger Besorgnisse als jener, der zu den Menschen gehorte, die keine Zwecke haben oder, wenn sie einen vor sich sehen, die Mittel dazu ablehnen. Ein taglich- und stundliches Behagen war ihm das unerla?liche Bedurfnis seines Lebens. Nach langem Zaudern ward es ihm endlich Ernst, seine Glaubiger loszuwerden, die Guterlast abzuschutteln, die Unordnung seines Hauswesens in Regel zu setzen, eines anstandigen, gesicherten Einkommens ohne Sorge zu genie?en, dagegen aber auch nicht das geringste von den bisherigen Brauchlichkeiten fahren zu lassen.

Im ganzen gestand er alles ein, was die Geschwister in den ungetrubten Besitz der Guter, besonders auch des Hauptgutes, setzen sollte, aber auf einen gewissen benachbarten Pavillon, in welchem er alle Jahr auf seinen Geburtstag die altesten Freunde und die neusten Bekannten einlud, ferner auf den daran gelegenen Ziergarten, der solchen mit dem Hauptgebaude verband, wollte er die Anspruche nicht vollig aufgeben. Die Meublen alle sollten in dem Lusthause bleiben, die Kupferstiche an den Wanden sowie auch die Fruchte der Spaliere ihm versichert werden. Pfirsiche und Erdbeeren von den ausgesuchtesten Sorten, Birnen und Apfel, gro? und schmackhaft, besonders aber eine gewisse Sorte grauer, kleiner Apfel, die er seit vielen Jahren der Furstin Witwe zu verehren gewohnt war, sollten ihm treulich geliefert sein. Hieran schlossen sich noch andere Bedingungen, wenig bedeutend, aber dem Hausherrn, Pachtern, Verwaltern, Gartnern ungemein beschwerlich.

Der Obermarschall war ubrigens von dem besten Humor; denn da er den Gedanken nicht fahren lie?, da? alles nach seinen Wunschen, wie es ihm sein leichtes Temperament vorgespielt hatte, sich endlich einrichten wurde, so sorgte er fur eine gute Tafel, machte sich einige Stunden auf einer muhelosen Jagd die notige Bewegung, erzahlte Geschichten auf Geschichten und zeigte durchaus das heiterste Gesicht; auch schied er auf gleiche Weise, dankte dem Major zum schonsten, da? er so bruderlich verfahren, verlangte noch etwas Geld, lie? die kleinen vorratigen grauen Goldapfel, welche dieses Jahr besonders wohl geraten waren, sorgfaltig einpacken und fuhr mit diesem Schatz, den er als eine willkommene Verehrung der Furstin zu uberreichen gedachte, nach ihrem Witwensitz, wo er denn auch gnadig und freundlich empfangen ward.

Der Major an seiner Seite blieb mit ganz entgegengesetzten Gefuhlen zuruck und ware an den Verschrankungen, die er vor sich fand, fast verzweifelt, ware ihm nicht das Gefuhl zu Hulfe gekommen, das einen tatigen Mann freudig aufrichtet, wenn er das Verworrene zu losen, als entworren vor sich zu sehen hoffen darf.

Glucklicherweise war der Advokat ein rechtlicher Mann, der, weil er sonst viel zu tun hatte, diese Angelegenheit bald beendigte. Ebenso glucklich schlug sich ein Kammerdiener des Obermarschalls hinzu, der gegen ma?ige Bedingungen in dem Geschaft mitzuwirken versprach, wodurch man einem gedeihlichen Abschlu? entgegensehen durfte. So angenehm aber auch dieses war, so fuhlte doch der Major als ein rechtlicher Mann im Hin- und Widerwirken bei dieser Angelegenheit, es bedurfe gar manches Unreinen, um ins Reine zu kommen.

Bei einer Pause des Geschafts, die ihm einige Freiheit lie?, eilte er auf sein Gut, wo er, des Versprechens eingedenk, das er an die schone Witwe getan und das ihm nicht aus dem Sinne gekommen war, seine Gedichte vorsuchte, die in guter Ordnung verwahrt lagen; zu gleicher Zeit kamen ihm manche Gedenk- und Erinnerungsbucher, Auszuge beim Lesen alter und neuer Schriftsteller enthaltend, wieder zur Hand. Bei seiner Vorliebe fur Horaz und die romischen Dichter war das meiste daher, und es fiel ihm auf, da? die Stellen gro?tenteils Bedauern vergangner Zeit, vorubergeschwundner Zustande und Empfindungen andeuteten. Statt vieler rucken wir die einzige Stelle hier ein:

«Heu!

Quae mens est hodie, cur eadem non puero fuit?

Vel cur his animis incolumes non redeunt genae!»

«Wie ist heut mir doch zumute?

So vergnuglich und so klar!

Da bei frischem Knabenblute

Mir so wild, so duster war.

Doch wenn mich die Jahre zwacken,

Wie auch wohlgemut ich sei,

Denk' ich jene roten Backen,

Und ich wunsche sie herbei.»

Nachdem unser Freund nun aus wohlgeordneten Papieren das Jagdgedicht gar bald herausgefunden, erfreute er sich an der sorgfaltigen Reinschrift, wie er sie vor Jahren mit lateinischen Lettern, gro? Oktav, zierlichst verfa?t hatte. Die kostliche Brieftasche von bedeutender Gro?e nahm das Werk ganz bequem auf, und nicht leicht hat ein Autor sich so prachtig eingebunden gesehen. Einige Zeilen dazu waren hochst notwendig; Prosaisches aber kaum zulassig. Jene Stelle des Ovid fiel ihm wieder ein, und er glaubte jetzt durch eine poetische Umschreibung, so wie damals durch eine prosaische, sich am besten aus der Sache zu ziehen. Sie hie?:

«Nex factas solum vestes spectare juvabat,

Tum quoque dum fierent; tantus decor adfuit arti.»

Zu Deutsch:

«Ich sah's in meisterlichen Handen

— Wie denk' ich gern der schonen Zeit! —

Sich erst entwickeln, dann vollenden

Zu nie gesehner Herrlichkeit.

Zwar ich besitz' es gegenwartig,

Doch soll ich mir nur selbst gestehn:

Ich wollt', es ware noch nicht fertig,

Das Machen war doch gar zu schon!»

Mit diesem Ubertragenen war unser Freund nur wenige Zeit zufrieden; er tadelte, da? er das schon flektierte Verbum: dum fierent, in ein traurig abstraktes Substantivum verandert habe, und es verdro? ihn, bei allem Nachdenken die Stelle doch nicht verbessern zu konnen. Nun ward auf einmal seine Vorliebe zu den alten Sprachen wieder lebendig, und der Glanz des Deutschen Parnasses, auf den er doch auch im stillen hinaufstrebte, schien ihm sich zu verdunkeln.

Endlich aber, da er dieses heitere Kompliment, mit dem Urtexte unverglichen, noch ganz artig fand und glauben durfte, da? ein Frauenzimmer es ganz wohl aufnehmen wurde, so entstand eine zweite Bedenklichkeit: da?, da man in Versen nicht galant sein kann, ohne verliebt zu scheinen, er dabei als kunftiger Schwiegervater eine wunderliche Rolle spiele. Das Schlimmste jedoch fiel ihm zuletzt ein: jene Ovidischen Verse werden von Arachnen gesagt, einer ebenso geschickten als hubschen und zierlichen Weberin. Wurde nun aber diese durch die neidische Minerva in eine Spinne verwandelt, so war es gefahrlich, eine schone Frau, mit einer Spinne, wenn auch nur von ferne, verglichen, im Mittelpunkte eines ausgebreiteten Netzes schweben zu sehen. Konnte man sich doch unter der geistreichen Gesellschaft, welche unsre Dame umgab, einen Gelehrten denken, welcher diese Nachbildung ausgewittert hatte. Wie sich nun der Freund aus einer solchen Verlegenheit gezogen, ist uns selbst unbekannt geblieben, und wir mussen diesen Fall unter diejenigen rechnen, uber welche die Musen auch wohl einen Schleier zu werfen sich die Schalkheit erlauben. Genug, das Jagdgedicht selbst ward abgesendet, von welchem wir jedoch einige Worte nachzubringen haben.

Der Leser desselben belustigt sich an der entschiedenen Jagdliebhaberei und allem, was sie begunstigen mag; erfreulich ist der Jahreszeitenwechsel, der sie mannigfaltig aufruft und anregt. Die Eigenheiten samtlicher Geschopfe, denen man nachstellt, die man zu erlegen gesinnt ist, die verschiedenen Charaktere der Jager, die sich dieser Lust, dieser Muhe hingeben, die Zufalligkeiten, wie sie befordern oder schadigen: alles war, besonders was auf das Geflugel Bezug hatte, mit der besten Laune dargestellt und mit gro?er Eigentumlichkeit behandelt.

Von der Auerhahnbalz bis zum zweiten Schnepfenstrich und von da bis zur Rabenhutte war nichts versaumt, alles wohl gesehen, klar aufgenommen, leidenschaftlich verfolgt, leicht und scherzhaft, oft ironisch dargestellt.

Jenes elegische Thema klang jedoch durch das Ganze durch; es war mehr als ein Abschied von diesen Lebensfreuden verfa?t, wodurch es zwar einen gefuhlvollen Anstrich des heiter Durchlebten gewann und sehr wohltatig wirkte, aber doch zuletzt, wie jene Sinnspruche, nach dem Genu? ein gewisses Leere empfinden lie?. War es das Umblattern dieser Papiere oder sonst ein augenblickliches Mi?befinden, der Major fuhlte sich nicht heiter gestimmt. Da? die Jahre, die zuerst eine schone Gabe nach der andern bringen, sie alsdann nach und nach wieder entziehen, schien er auf dem Scheidepunkt, wo er sich befand, auf einmal lebhaft zu fuhlen. Eine versaumte Badereise, ein ohne Genu? verstrichener Sommer, Mangel an stetiger gewohnter Bewegung, alles lie? ihn gewisse korperliche Unbequemlichkeiten empfinden, die er fur wirkliche Ubel nahm und sich ungeduldiger dabei bewies, als billig sein mochte.

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