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Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia - Страница 58


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Schlie?lich verlie?en sie die Deckung des Waldes. Es gab jetzt nur noch Felsen und niedrige Busche am Hang. Dann sah Marit die Manner von der Roosevelt und der Albatros. Sie kamen den Weg herauf. Papa, Mama und Felipe blieben stehen.

Und jetzt hatten die Manner sie auch gesehen.

Joses Schritte trugen ihn von selbst zu den Piratenhohlen zuruck. Er trank etwas Wasser aus der Vertiefung im Fels, setzte sich auf die steinerne Bank und lie? seinen Blick durch die Hohle gleiten. Und er dachte daran, dass er sich vorgestellt hatte, wie er hier zusammen mit Marit uberlebte. Wie sie Abend fur Abend auf dem kleinen Platz vor den Hohlen sitzen und in den Sternenhimmel hinaufsehen wurden.

Aber nun wurde er all diese Dinge allein tun, und es ware eine traurige Sache, allein in der Hohle zu wohnen. Er trat gegen den Topf, der mit einem blechernen Krachen umfiel und ein Stuck rollte. Er wollte wutend sein, doch er konnte es nicht.

Er fuhlte sich nur leer.

Nichts war so gewesen, wie er gedacht hatte. Es war schwer gewesen, damit zu leben, dass Jonathan nicht Jonathan war, sondern ein Madchen. Aber er hatte sich daran gewohnt. Marit war kein Madchen wie andere Madchen, sie war zwar eine Schwester, doch sie hatte alles mit ihm geteilt wie ein Bruder. Und nun war sie nicht einmal mehr eine Schwester. Es tat weh, das zu denken. Stimmte es, dass sie gedacht hatte, ihre Eltern waren tot? War es wahr, dass sie nur auf die Isla Maldita gekommen waren, um dort Felder zu bestellen? Dass Marits Vater vor dem Krieg geflohen war?

»Er ist nicht nur ein Deutscher«, murmelte Jose, »sondern auch noch ein Feigling.«

Aber wenn die Deutschen jeden umbrachten, der vor dem Krieg floh, war es dann feige, vor dem Krieg zu fliehen? War er dann nicht ein Feind der Deutschen? Und war ein Deutscher, der ein Feind der Deutschen war, ein Freund von Deutschlands Feinden? Joses Gedanken verhedderten sich.

»Nein«, sagte er, »alle Deutschen sind gleich. Ich hasse alle Deutschen.«

Es klang so leer wie das Gefuhl in ihm, so blechern wie das Gerausch des umfallenden Topfes. Er war sich nicht mehr sicher, was stimmte.

Er war sich nur sicher, dass seine Schwester ihn belogen hatte, und diese Tatsache machte die Hohle kalt und feindlich. Auf einmal konnte er es nicht mehr ertragen, die Feuerstelle anzusehen, an der sie zusammen gesessen hatten. Er stand auf und lief den alten Weg entlang, hinunter zum Strand. Er wusste nicht, was er dort wollte. Allein sein vielleicht. Allein sein ohne die Erinnerungen, die die Hohle barg.

Er kam bis zu dem Stuck des Berges, wo der Wald aufhorte, wo das Gestrupp niedrig war und man aufs Meer hinaussehen konnte. Es lag strahlend blau in der Nachmittagssonne, und mitten darin gab es zwei gro?e Flecken, einen grauen und einen wei?en. Zwei Schiffe. Jose kauerte sich instinktiv hinter einen Busch, wurde eins mit dem Abhang und beobachtete, wie sie langsam naher kamen. Sie liefen die Bucht an, in der auch Marit und er mit ihrem Flo? angespult worden waren. Die Roosevelt und die Albatros, dachte Jose. Ob die Amerikaner immer noch glaubten, er hatte Casafloras Karte? Die Schiffe steuerten genau auf die Klippen zu. Sie wurden daran zerschellen wie vielleicht vor vielen Jahren das Schiff seines Urgro?vaters.

Man muss etwas tun,wisperte die Abuelita, die ihr Stichwort gehort hatte. Wenn du dich nur ein wenig mit ihnen beschaftigt hattest, konntest du die Unaussprechlichen bitten, die Schiffe von den Klippen fortzutragen …

Jose ignorierte sie. Er uberlegte, ob er sein Versteck verlassen sollte, um zu winken und zu rufen. Wenn er seine Mauser noch gehabt hatte, hatte er in die Luft geschossen, damit sie ihn bemerkten. Und in genau diesem Moment fiel ein Schuss. Er kam von oben aus dem Wald. Jose drehte den Kopf. Er konnte das Felsdach der Hohle sehen. Und dort stand jemand. Dort standen mehrere Menschen: Marit und ihre Eltern, ihre Schwester und der Ecuadorianer. Marits Vater winkte mit beiden Armen. Einen Moment lang dachte Jose, er winkte ihm. Nein. Sie hatten ihn nicht gesehen. Marits Vater winkte den Mannern auf den Schiffen, um sie zu warnen. Und die Schiffe drehten tatsachlich ab. Sie machten jetzt einen Bogen um die Klippen. Aber Jose hatte das Gefuhl, dass sie den Schuss missverstanden hatten. Sie flohen nicht vor den unsichtbaren Klippen. Sie flohen vor den Schussen. Niemand an Bord der Schiffe winkte zuruck.

Jose blieb in seinem Versteck sitzen und beobachtete, wie sie ankerten und in zwei kleinen Beibooten an Land paddelten. Als sie aus den Booten stiegen, zahlte er funf Manner. Zu seiner Uberraschung war einer von ihnen Waterweg. Er war also doch noch am Leben. Und dann sah Jose, dass er noch einen der Manner kannte. Den einzigen Einheimischen. Konnte es sein? War das da unten wirklich … sein Vater?

Jose merkte, wie seine Hande feucht wurden vor Aufregung. Ein warmes Glucksgefuhl durchstromte ihn, aber er verstand nicht, was sein Vater dort bei den anderen Mannern tat. War er ihnen die ganze Zeit uber gefolgt? Vielleicht war es besser, zunachst verborgen zu bleiben. Abzuwarten. Er sah die Manner die Serpentinen des Weges heraufkommen.

Dann sah er oberhalb seines Verstecks Marits Eltern und den Ecuadorianer aus dem Schatten der Baume treten. Sie kamen noch ein Stuck den Weg herunter, dann blieben sie stehen, wenige Meter von Jose entfernt, der reglos am Boden kauerte.

Sie hatten die Manner unten auf dem Weg entdeckt.

Und jetzt hatten die Manner auch sie gesehen.

»Halt«, sagte Lindsey. »Da oben. Auf dem Weg.«

»Das«, sagte Parker leise, »sind keine schiffbruchigen Kinder.«

»Nein«, flusterte Ben Miller. Er schamte sich immer noch, dass er schuld war an der ganzen Sache mit Jose. Es half nicht, dass er Hals uber Kopf zusammen mit Joses Vater auf einem geliehenen Schiff losgesegelt war, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen. Er war jung, hatte eine Menge wiedergutzumachen, und deshalb flusterte er, obwohl alle es sahen: »Viel eher sind es drei Manner, Sir. Und zwei von ihnen tragen Waffen. Einer von ihnen hat auf uns geschossen.«

»Sie haben uns gesehen«, sagte Senor Fernandez, und in dem Moment, als er das sagte, hatte Lindsey seine Waffe in der Hand. Er war der Alteste und Erfahrenste der drei und gewohnlich war er schwer aus der Ruhe zu bringen. Aber uber die Isla Maldita hatte er schon zu viel gehort. Sie machte ihn nervos. Er hatte es niemals zugegeben: Er hatte Angst.

Er wusste nicht, wie viele Manner noch dort oben im Wald waren und wer sie waren und was sie vorhatten. Er sah, wie einer der Manner seine Waffe von der Schulter nahm. Lindsey entsicherte das Gewehr.

»Nein«, sagte Waterweg da auf einmal. »Warten Sie. Tun Sie das nicht!«

Lindsey sah ihn nicht an. Er zielte. »Sie haben mir nichts zu befehlen«, sagte er mit einem unangenehmen Gefuhl im Magen. Was war mit Waterweg los? Er war seinMann. Er arbeitete fur ihn, fur Amerika, fur den Frieden, er – er schlug Lindsey mit einer geubten Bewegung das Gewehr aus der Hand.

»Sie durfen nicht schie?en!«, rief Waterweg. »Ich –«

Weiter kam er nicht. Es ging alles zu schnell. Spater wurde oft uber die Reihenfolge der Dinge gesprochen, aber spater war es zu spat. Ben Miller sah seine Chance, endlich etwas Nutzliches zu tun. Im Grunde seines Herzens wollte auch er ein Held sein, wie der Junge, den er versehentlich auf den Pazifik hinaus-geschickt hatte. Als er sah, wie Thomas Waterweg seinen Vorgesetzten angriff, sprang er nach vorn und rang Waterweg zu Boden. Lindsey hob sein Gewehr auf, Waterweg rollte zur Seite und plotzlich war da eine Pistole in seiner Hand. Er richtete sie auf Bens Gesicht.

»Wenn Sie schie?en, Lindsey, schie?e ich auch«, sagte er kalt. »Ich wei?, wer die dort oben sind.«

»Deutsche«, sagte Parker.

»Ihre Leute«, sagte Lindsey.

»Ja«, sagte Waterweg. »Meine Leute. Aber …«

»Komisch«, sagte Parker. »Ich habe es die ganze Zeit geahnt. Es hat mich von Anfang an gewundert, dass Sie, Sie als Deutscher, fur unsarbeiten.« Er stie? mit dem Fu? nach Waterweg und die Pistole segelte durch die Luft. Ben hielt Waterweg noch immer am Boden fest. Er wehrte sich nicht.

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