Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia - Страница 56
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Ein gro?er gelber Hund kam auf die Veranda gesprungen, warf Marit einen misstrauischen Blick zu und legte sich schlie?lich unter den Tisch. Nach dem Hund kam ein junger Mann, und als er Marit sah, machte er ein sehr verwirrtes Gesicht.
»Wir reden gerade von dir«, sagte Mama auf Spanisch. »Setz dich.«
»Aber wer … wer ist das?«, fragte Felipe.
»Das ist Marit«, sagte Mama, beilaufig, als stellte sie jemanden vor, der zum Tee vorbeigekommen war. »Unsere altere Tochter. Nimm doch ein Stuck Bananenkuchen.«
»Wo… woher kommst du?«, fragte Felipe. »Bist du vom Himmel gefallen?«
»So ahnlich«, sagte Marit und grinste. Und dann erzahlte sie ihre Geschichte noch einmal, in der langeren Version, und Julia redete dauernd dazwischen und der gelbe Hund wurde abwechselnd von allen mit Kuchen gefuttert.
»Casaflora«, sagte Mama am Ende. »Marit, hast du den Namen mal ins Deutsche ubersetzt?«
»Nein«, sagte Marit. »Es ist nur ein Name. Namen ubersetzt man nicht.« Sie dachte nach. »Oder doch. Casa flora. Blumenhaus.«
»Blumenhaus«, sagte Mama. »Sein Schiff hie? Mariposa. Schmetterling. Und er war schon ein paar Jahre auf den Inseln unterwegs, lange genug, um so zu sprechen, dass man ihn fur einen Ecuadorianer hielt. Er hatte naturlich dunkles Haar, das hat geholfen …«
»Dein Professor«, sagte Papa. »Du glaubst, Casaflora war Professor Blumenhaus? Der, der das Buch uber die Inseln geschrieben hat? Dein Vorbild?«
»Ja«, sagte Mama und plotzlich klang sie traurig. »Mein Vorbild hat sich verwandelt. In den Zeichner einer lebensgefahrlichen Karte. In einen deutschen Spion. In einen verbitterten alten Mann. Oder vielleicht war er immer so. Ich wusste es nur nicht.«
Marit streichelte den gelben Hund, auf dessen Kopf sich Carmen gerade zu einem Nickerchen einrollte. Loco stand mit seinen gro?en blauen Fu?en schon eine Zeit lang auf dem Tisch und pickte Kuchenkrumel auf.
»Er hat sich vielleicht zuruckverwandelt«, sagte Marit leise. »Dein alter Professor. Ganz am Ende. Er hat uns gerettet, wei?t du. Vor dem Vulkanausbruch. Als er gestorben ist, war er wieder ein Vorbild.«
Mama nickte. »Und das andere Schiff … das Schiff von Tom … hie? noch einmal wie?«
»Mariposa Nocturna«, antwortete Marit. »Nachtfalter.«
Sie sah von Papa zu Mama und zuruck.
»Mission Nachtfalter«, murmelte Papa. »Die Mission hatte eine Menge Mitarbeiter. Nicht jeder wusste, was der andere tat. Konnte es sein, dass Tom nicht das war, was wir dachten?«
»Vielleicht nicht«, sagte Marit. »Aber ich furchte, er ist genauso tot wie Casaflora. Er hat zu spat gemerkt, dass der Vulkan ausbricht. Als wir losgesegelt sind, lag sein Nachtfalter-Schiff noch immer vor Anker.« Und sie legte ihre Arme ganz schnell um Loco und druckte ihn an sich, weil das vielleicht gegen die Traurigkeit half. Sie wollte nicht mehr traurig sein. Sie war genug traurig gewesen. Gab es denn nie ein Ende der Traurigkeit?
Dann fiel ihr etwas ein und sie sprang auf. »Jose!«, rief sie. »Mein Bruder! Ich muss ihm alles erzahlen! Ich habe ihn beinahe vergessen. Er wei? nicht, dass ich aus Deutschland komme. Er hasst alle Deutschen. Vielleicht konnen wir ihm erklaren, wir waren aus London?«
Papa schuttelte langsam den Kopf. »Einen Bruder kann man nicht ewig belugen«, sagte er. »Denk an Thomas, den Bruder deiner Mutter. Du siehst, was dabei herauskommt, wenn Geschwister sich belugen. Hol deinen Jose her. Hol ihn her und erklar ihm alles.«
Marit verbarg ihr Gesicht im Federkleid des Blaufu?tolpels. Vielleicht, dachte sie, wurde dies das Schwerste auf ihrer ganzen Reise werden.
Schlie?lich stand sie auf und hob Loco hoch. »Ich wei? nicht, ob du das kannst«, flusterte sie ihm zu. »Aber wir versuchen es. Hol Jose her. Jose, horst du? Meinen Bruder Jose. Hol ihn hierher.« Damit warf sie Loco in die Luft, so wie sie es einmal vor langer Zeit bei einem Falkner und seinem Falken gesehen hatte. Loco war kein Falke und strampelte verwundert mit den blauen Fu?en, doch dann breitete er seine Schwingen aus und stieg in den fu?blauen Himmel empor. Er flog eine Runde uber dem Bougainvillea-uberwucherten Haus und strich uber die Baumwipfel davon.
Jose hatte nichts und niemanden im Wald gefunden. Auch Marit war nicht mehr bei der Quelle gewesen. Nur der leere Panzer einer Riesenschildkrote hatte dort in der Sonne gelegen, ein Panzer, der zuvor nicht da gewesen war.
Schlie?lich war Jose zur Piratenhohle zuruckgekehrt und nun sa? er dort seit einer ganzen Weile allein und machte sich Sorgen. Es war besser, dachte er, bei der Hohle zu bleiben, falls Marit zuruckkam, damit sie sich nicht am Ende gegenseitig suchten und aneinander vorbeirannten. Er war sich inzwischen fast sicher, dass er sich die Schreie eingebildet hatte, genau wie die Manner mit den Fackeln nachts.
Er wusste nicht, wie viele Stunden vergangen waren, als etwas vor seinen Fu?en landete. Etwas mit sehr blauen Fu?en. Loco.
Kurt, Oskar und Uwe hatten mit Jose gewartet, und nun beaugten auch sie verwundert den Tolpel, der einen seltsamen Tanz auf der Stelle vollfuhrte. Er stampfte mit den blauen Fu?en auf den Boden, legte den Kopf in den Nacken und reckte den Schnabel zum Himmel, wankte hin und her, breitete die Flugel aus und faltete sie wieder zusammen …
»Loco«, sagte Jose streng. »Hor auf damit. Bist du betrunken?«
Da flog der Tolpel auf, flog auf Jose zu und riss mit dem Schnabel an seinem Hemd. Danach flatterte er in die Baume. Kurt und Uwe schienen sich anzusehen und folgten ihm in den Wald. Jose schuttelte den Kopf.
»Ihr meint, ich soll ihm ebenfalls folgen?«, fragte er.
Und plotzlich hatte er es eilig. Immerhin hatte Marit Loco mitgenommen. Vielleicht war ihr etwas passiert. Vielleicht lag sie irgendwo im Wald und brauchte Hilfe und Loco wurde ihn zu ihr fuhren. Er ballte die Fauste. Gab es doch Deutsche auf der Isla Maldita? Hatten sie Marit eingefangen wie ein wildes Tier? Und was hatten sie mit ihr angestellt?
Wie er sie hasste! Diese Deutschen, die den Krieg begonnen hatten. Die die ganze Welt besitzen wollten. Sie waren alle gleich.
Sie sa?en lange auf der Veranda und warteten darauf, dass Loco wiederkam. Niemand von ihnen sagte, dass es vermutlich nicht funktionierte, weil ein Tolpel eben kein Falke ist.
Und dann kam ein riesiger wei?er Vogel aus dem Wald auf die Lichtung hinausgewatschelt.
»Ein Albatros«, sagte Mama verwundert.
»Kurt!«, rief Marit und sprang auf. Nach Kurt kam Uwe der Wasserleguan. Und nach Uwe trat Jose aus dem Wald, im Arm den Pinguin Oskar, auf seiner Schulter den Blaufu?tolpel. Marit lief ihm entgegen.
»Jose!«, rief sie. »Ein Gluck, dass Loco dich gefunden hat! Es ist alles so unglaublich! So unglaublichunglaublich!«
Julia kam ihr nachgerannt. »Hallo, Jose!«, rief sie und, uber die Schulter, auf Deutsch: »Mama, Papa! Wollt ihr nicht Marits Bruder Hallo sagen?«
Jose war zwischen den Beeten stehen geblieben. Marit konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Sie blieb ebenfalls stehen, plotzlich unsicher. Als sie sich umdrehte, standen Mama und Papa hinter ihr. Felipe war auf der Veranda geblieben.
»Das«, sagte Marit, »sind meine Eltern. Sie sind es, die hier wohnen. Nur sie. Sie sind gar nicht verbrannt, damals, bei dem Bombenangriff …«
»In London«, sagte Jose, und sie horte, dass er es nicht langer glaubte. Julia hatte deutsch gesprochen.
»In Hamburg«, sagte Mama sanft. »Es war Hamburg, in Deutschland. Wir mussen eine Menge erklaren. Komm doch und setz dich zu uns auf die Veranda.«
Jose sah von Marit zu ihren Eltern, zu Julia und zuruck zu Marit. »Deutsche«, sagte er dann. Er spuckte ihr das Wort vor die Fu?e wie einen Schluck Gift. »Ihr seid Deutsche. Du hast mich belogen. Die ganze Zeit.«
»Ich …«, begann Marit. Aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es musste etwas geben, irgendetwas, das richtig war, doch es fiel ihr nicht ein, und so hob sie nur hilflos die Arme.
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