Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia - Страница 36
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»Wenn du ihr etwas getan hast …«, knurrte Waterweg.
»Ich habe sie aus dem Wasser gezogen!«, rief Jose. »Ich habe ihr das Leben gerettet, verflucht! Besser gesagt: Ich habe einem Jonathan Smith das Leben gerettet.«
»Und dann hat sich der Jonathan Smith in ein hubsches kleines Madchen verwandelt, wie?«, sagte Waterweg. »Wie praktisch fur dich.«
Er stie? Jose mit einer plotzlichen Bewegung zu Boden. Die Mundung der Pistole lag noch immer an Joses Hals.
»Ich habe noch nie auf ein Kind geschossen«, sagte Waterweg leise. »Aber wenn du Marit etwas getan hast, bist du kein Kind mehr. Wie alt bist du?«
»Alt genug, um zu sterben«, sagte Jose stolz.
Zur selben Zeit ging Marit am Strand auf und ab und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Wo war die Mariposa? Wo waren die erloschenen Feuerstellen? Selbst die Seelowen waren verschwunden. War sie in eine Art unerklarliches Zeitloch gefallen? Sie setzte sich in den Sand und sah aufs Meer hinaus. Neben ihr sa? der rot-schwarze Leguan. Carmen war auf seinen Kopf geklettert.
»Uwe«, sagte Marit zu dem Leguan. »Du hei?t Uwe. Verzeih mir, aber du siehst einfach so aus.«
Carmen spazierte zwischen Uwes Zacken entlang, an seinem Rucken hinunter, balancierte auf ihren winzigen Pfotchen uber seinen langen schuppigen Schweif und sprang auf den Boden. Dann begann sie durch den Sand davonzulaufen – ein muhsames Unterfangen, denn der Sand war fein und trocken und sie sackte immer wieder bis zum Bauch darin ein. Aber sie schien entschlossen.
»Hor mal, Uwe«, sagte Marit und stand auf. »Ich denke, wir sollten ihr folgen. Carmen wei? manchmal … Dinge.«
Sie hob die Ratte hoch, setzte sie auf ihre Schulter und wanderte ein Stuck in die Richtung, in die Carmen gegangen war. Dann drehte sie sich um. Uwe folgte ihr tatsachlich. Und als Marit das Stuck Kuste jetzt noch einmal betrachtete, dammerte ihr etwas. Es war nicht das richtige Stuck Kuste. Die Bucht sah zwar ahnlich aus, doch es war nicht dieselbe. Sie war auf der verkehrten Seite des Vulkans hinuntergegangen.
»Idiotin, ich!«, rief sie und lachte erleichtert. »Es wird alles noch da sein, wenn ich ankomme: Jose und die Mariposa und der Rest unseres Zoos. Ich muss nur ein Stuck um die Insel herumwandern.«
Es dauerte, um die Insel herumzuwandern. Marit wanderte und wanderte, sie wanderte unten am Wasser entlang, wo der Sand harter war, doch hier gab es keinen Schatten und ihr Durst wuchs ins Unermessliche.
»Wie machst du das, Uwe?«, fragte sie. »Trinkst du uberhaupt je etwas?«
Bei jeder Bucht, in die sie kamen, dachte Marit: Hier! Hier muss die Mariposa liegen! Und jede Bucht war eine leere Bucht. Der Tag wurde zum Abend, die Sonne begann zu sinken, und endlich sah sie den goldenen Fleck auf dem Wasser. Das Honigboot.
Aber jetzt lag ein zweites Boot in der Bucht, ein Boot mit einem geflickten Mast. Marit merkte, wie ihr Herz rascher schlug. Sie sah Casaflora auf der Mariposa mit dem Motor hantieren. War Jose dort? Wo war der Besitzer des anderen Boots? Bei der alten Feuerstelle lag nur Joses Rucksack. Sie hob ihn auf. Und dann horte sie Stimmen von dort, wo die dornigen Straucher begannen. Sie krallte ihre Finger um den Rucksack.
Eine der Stimmen gehorte unzweifelhaft Waterweg. Weg!, dachte sie. Ich muss weg von hier! Sie holte Luft und lief los. Doch sie lief auf die Stimmen zu. Denn die andere Stimme gehorte Jose. Als sie sie beinahe erreicht hatte, blieb sie stehen und hob Uwe vom Boden auf, damit er sie nicht durch sein Geraschel verriet. Nur noch ein paar dichte Dornbusche trennten Marit und die Stimmen. Und jetzt verstand sie einzelne Worte.
»Besser gesagt«, sagte Jose gerade, »ich habe einem Jonathan Smith das Leben gerettet.«
»Und dann hat sich der Jonathan Smith in ein hubsches kleines Madchen verwandelt, wie?«, fragte Waterweg.
Das hubsche kleine Madchen tastete nach der Pistole. Sie war nicht da. Verdammt! Marit musste sie irgendwo auf dem Vulkan verloren haben. Sie teilte die Zweige vor sich lautlos … und erschrak. Jose lag auf dem Boden, und Waterweg stand uber ihm, den Lauf seiner Waffe gegen Joses Hals gepresst.
»Ich habe noch nie auf ein Kind geschossen«, sagte er. »Aber wenn du Marit etwas getan hast, bist du kein Kind mehr. Wie alt bist du?«
»Alt genug, um zu sterben«, sagte Jose.
Marit lachelte. Vermutlich hatte er ein Leben lang darauf gewartet, diesen Satz zu sagen. Sie trat aus dem Gebusch. »Ich bin hier«, sagte sie leise. Auf Spanisch.
»Marit!«, rief Waterweg und sie horte ehrliche Erleichterung in seiner Stimme.
»Niemand hat mir etwas getan«, sagte Marit, und noch immer vermied sie es, deutsch zu sprechen. »Ich hatte mich verlaufen, das war alles. Nimm die Pistole weg! Jose hat mich aus dem Wasser gezogen. Ohne ihn ware ich nicht hier. Es ist wahr.«
»Ich wunschte, ich konnte das glauben«, sagte Waterweg. Er schob die Mauser mit dem Fu? weg, sodass weder Jose noch sie sie erreichen konnte. »Aber da ist noch etwas. Die Karte, mein Junge. Du hast sie gestohlen. Sagt Casaflora. Gib mir die Karte und ich binde dich sofort los.«
Die Karte?, dachte Marit. Gestohlen? Hatte Jose nicht gesagt, er hatte sie von seinem Vater bekommen? Hatte er gelogen? Und weshalb war ihr Onkel hinter einer alten Schatzkarte her?
»Ich habe sie vernichtet«, antwortete Jose. »Sie existiert nicht mehr.«
»Oh nein«, sagte Waterweg. »Du lugst. Ich kann es sehen.«
Marit sah es auch. Jose sagte nicht die Wahrheit.
»Lass ihn doch die dumme Karte haben«, flusterte sie. »Ist sie so wichtig?«
Jose warf ihr einen Blick zu, funkelnd vor Arger. »Als wusstest du irgendetwas«, fauchte er. »Gar nichts wei?t du! Fahr mit deinem Onkel dorthin zuruck, wo du hergekommen bist, und lass mich blo? in Ruhe …«
»Die Wahrheit«, sagte Waterweg. »Ich mochte die Wahrheit uber die Karte horen.«
»In Ordnung«, antwortete Jose. »Die Karte existiert noch, aber sie wird nicht mehr lange existieren. Es ist eine Frage der Zeit.«
»Du hast sie vergraben.«
»Nein.«
»Ins Wasser geworfen?«
»Nein.«
»Hor mal, das hier ist kein Ratespiel.« Waterweg trat ganz dicht an Jose heran und sah ihm in die Augen. »Das hier ist Ernst. Wo ist die verdammte Karte?«
Jose schwieg.
»Es ist einfach«, meinte Waterweg. »Du wirst hierbleiben, bis du mich hinfuhrst. Steh auf! Geh da ruber! Zu dem niedrigen Baum.«
Jose gehorchte, doch er gehorchte nicht Waterweg, sondern seiner Pistole. Waterweg holte mit der freien Hand eine Rolle Schnur aus der Tasche.
»Nimm deine Hande nach hinten«, befahl er Jose. Mit ein paar flinken Bewegungen fesselte er Joses Handgelenke an den Baum, und Marit sah, wie die dunne Schnur in seine Gelenke einschnitt.
Waterweg steckte seine Pistole ein, buckte sich und nahm das Magazin aus der Mauser. »So«, sagte er. »Ich habe Zeit. Zeit und eine Menge Wasser auf meinem Boot.«
»Wasser?«, fragte Marit.
Waterweg nickte. »Komm«, sagte er, »gehen wir etwas trinken. Und essen. Du siehst aus, als hattest du seit Langem nichts Anstandiges mehr gegessen.« Er nahm sie am Arm, um sie mit sich wegzufuhren, und sie wollte sich wehren, aber dann lie? sie es bleiben. Vielleicht war es besser, mitzugehen. Vielleicht konnte sie etwas herausfinden, etwas uber die Karte.
»Warten Sie!«, rief Jose. »Vielleicht uberlege ich mir das mit der Karte, wenn ich Wasser bekomme.«
»Oh nein«, sagte Waterweg. »So herum funktioniert es nicht, mein Junge. Wenn ich die Karte in den Handen halte, dannbekommst du Wasser. Also? Mochtest du reden?«
Jose schuttelte den Kopf. Aber Marit sah, wie er litt. Wie der Durst ihn qualte, genau wie sie selbst. »Jose …«, begann sie, »willst du ihm nicht doch lieber sagen …?«
»Verschwinde!«, knurrte er. »Geh auf das feine Schiff deines feinen Onkels und betrink dich an seinem feinen Wasser. Von mir aus bleibe ich hier sitzen und schweige, bis die Welt untergeht!«
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