Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia - Страница 29
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Aber als sie oben im Schrank nachsahen, war kein Barenpullover da. Mama fiel plotzlich ein, dass sie ihn wohl in die Wasche getan hatte, und sie las ihnen weiter aus dem gro?en Buch uber die Galapagosinseln vor, damit der Teddybar verga?, dass er an diesem speziellen Fruhlingstag fror.
»Wusstet ihr uberhaupt«, sagte sie, »dass mein Professor Blumenhaus dieses Buch geschrieben hat? Ich wette, er ist jetzt dort und sucht nach seinem Schmetterling.«
Am nachsten Tag hing der Teddybarenpullover im Hof auf der Leine, aber Marit kam die ganze Sache komisch vor. Sie lie? sich von Geschichten uber Professoren auf Schmetterlingsjagd nicht so leicht ablenken wie Julia. Als Mama einkaufen war, versuchte sie noch einmal allein, durch das Fenster zu klettern. Doch Richard aus dem Nachbarhaus erwischte sie dabei und pfluckte sie vom Fenster.
»Hey, Kleine«, sagte er und setzte sie auf den Boden. »Es ist verboten, durch die Fenster von irgendwelchen Schuppen zu klettern.«
Sie sah in sein grinsendes Gesicht und schwieg.
»Ich bin der Blockwart«, sagte Richard. »Ich passe hier auf, schon vergessen?« Er beugte sich zu ihr, sodass seine Lippen ihre Wange beruhrten. »Und auf dich passe ich ganz besonders auf«, flusterte er.
Der Traum verfolgte Marit den ganzen Tag, und vor allem waren es Richards Lippen, die sie verfolgten. Es schuttelte sie, an Richard zu denken. Dennoch hatte Jose mit einem wie Richard sicher mehr gesprochen als mit ihr.
An diesem Abend sa? der Alte am Steuer. Jose sa? im Bug und rauchte eine von Casafloras Zigaretten. Sie hockte sich neben Jose, nahm ihm die Zigarette weg, um daran zu ziehen – und musste zu ihrem eigenen Arger wieder husten.
»Was soll denn das?«, sagte Jose gereizt und griff nach der Zigarette. »Das ist nicht gut fur dich.«
»Ach nein? Neulich wolltest du es mir beibringen. Das Rauchen.«
Er erwischte die Zigarette und nahm sie ihr ab, mit etwas mehr Gewalt als notig. »Zigaretten sind nichts fur Madchen.«
»Ach so«, sagte Marit. »Aber Leute vor einer Rakete retten, die in einen Felsen einschlagt, das ist was fur Madchen, ja? Und Leute im Wald aufsammeln, wo sie sich bewusstlos schlagen lassen? Und nachts allein ein Schiff steuern, wahrend Leute unter Deck liegen und ihre Beinahe-Gehirnerschutterung ausschlafen? Das ist wohl alles etwas fur Madchen?«
Carmen kroch aus ihrem Armel, wo sie in letzter Zeit fest zu wohnen schien, und blitzte Jose aus ihren Knopfaugen an, als wollte sie Marit unterstutzen.
Jose seufzte.
»Ich furchte, es gibt nur zwei Moglichkeiten«, sagte Marit. »Entweder fahren wir zusammen zu dieser Insel und bekommen heraus, was die Karte bedeutet. Oder … du fahrst allein. Aber wenn wir zusammen fahren, musst du wieder mit mir reden! Ich meine: mehr als ein paar Worte. Du musst vergessen, dass ich ein Madchen bin.«
Er sah sie an. Schuttelte den Kopf. »Nein. Das kann ich nicht.«
»Dann musst du allein weiterfahren. Und ich bleibe hier.«
»Wo hier?«
Sie wies auf den Ozean hinaus. »Irgendwo hier. Das war es, was ich von Anfang an wollte, erinnerst du dich? Ich muss dir nicht helfen, deine verfluchte Insel zu erreichen.«
»Du bist ja verruckt«, sagte Jose. »Willst du jetzt schon wieder ins Wasser springen? Ist das eine Erpressung?«
»Nein«, sagte Marit und stand auf. »Eine Entscheidung. Deine Entscheidung.«
Sie wusste, dass Jose recht hatte. Es war eine Erpressung. Sie hatte nicht mehr vor zu sterben. Aber irgendetwas musste sie tun, irgendetwas musste sie sagen! Sie machte einen Schritt auf die Reling zu und Jose riss sie zu Boden. Eine Weile rangen sie miteinander, wie sie es schon einmal getan hatten, vor ein paar Tagen erst. Damals, als Jose gedacht hatte, Marit hatte sein Gewehr verschwinden lassen. Damals, als Juan Casaflora noch ein Toter gewesen war.
»Bei? und kratz ruhig«, sagte Jose. »Jetzt wei? ich ja Bescheid.«
Und das machte Marit wutender, als sie es fur moglich gehalten hatte. Sie spurte, wie ihre Faust in Joses Gesicht landete, und erschrak. Diesmal dauerte es eine Weile, bis er sie auf die Decksplanken druckte.
»Du bist … du bist starker geworden«, keuchte er.
Marit grinste. »Ja. Ich glaube.«
»Das wird ein blaues Auge.« Jose setzte sich auf, hob die halb gerauchte Zigarette auf und zundete sie wieder an. Dann gab er sie Marit. Marit sah die Zigarette an.
»Danke«, sagte sie. »Die sind scheu?lich. Meinst du nicht, es kommt auf andere Dinge an?«
»Es kommt darauf an, dass du bleibst«, sagte Jose ernst. »Und dass du mit mir zur Isla Maldita fahrst. Allein werde ich es nicht schaffen. Ich kann nicht vergessen, dass du ein Madchen bist. Aber wenn du willst, kannst du meine Schwester sein. Eine ziemlich verruckte und ganz und gar dickkopfige Schwester. Aber eine Schwester. Mit einer Schwester kann man vielleicht reden wie mit einem anderen Mann.«
»Gut«, sagte Marit. »Ich werde einen ziemlich verruckten und ganz und gar dickkopfigen Bruder haben. Aber einen Bruder.«
Als Marit Jose gegen Ende der nachsten Nacht am Steuer abloste, sa? Casaflora an Deck und streichelte den schlafenden Albatros. »Ich kann nicht schlafen«, sagte er auf Deutsch.
»Ich habe Ihre Pistole in der Tasche«, antwortete Marit auf Spanisch.
Casaflora nickte. »Naturlich. Und du denkst, du konntest damit umgehen.«
Marit antwortete nicht. Sie spurte die warme Lebendigkeit von Carmen in ihrem Armel und auf eine seltsame Weise beruhigte sie das. Mehr als die Pistole.
»Wir sind nicht mehr weit von Marchena«, sagte Casaflora schlie?lich. »Was wirst du dann tun?«
»Jose helfen«, antwortete sie. »Ich fahre mit ihm weiter.«
»Ja«, sagte Casaflora. »Das werden wir alle tun. Denn auf Marchena gibt es kein Wasser.«
»Es wird wieder regnen.«
Casaflora seufzte. »Vielleicht.« Er legte seine Hand auf ihre, auf die Hand, mit der sie steuerte. Die rechte. Marit wurde kalt. Die Pistole steckte in ihrer rechten Tasche. Sie wurde sie nie mit der linken Hand hervorziehen konnen. Idiotin!
»Au, verdammt!«, zischte Casaflora und zog seine Hand zuruck. »Was war das?« Ein paar feine Schnurrhaare kitzelten Marits Unterarm.
»Das«, erwiderte sie lachelnd, »war eine endemische Galapagos-Reisratte. Sie hat einen unfehlbaren Sinn dafur, im richtigen Moment einzugreifen.«
»Ich wollte dich nur etwas fragen«, knurrte Casaflora.
»Ja?«
»Weshalb bist du hier? Erzahl mir nicht, du bist zufallig von einem Schiff gefallen und hast dich vor dem Bug der Mariposa wiedergefunden.«
Marit unterdruckte ein Lachen. »Und wenn ich Ihnen sage, dass es genau so war?«
»Das kannst du deinem kleinen Freund erzahlen.«
»Er ist nicht mein Freund.«
»Nicht?«, fragte Casaflora.
»Er ist mein Bruder«, sagte Marit.
»Dein Bruder?« Sie sah ihn im Dunkeln den Kopf schutteln. »Du erzahlst nur Unsinn.«
Marit seufzte. »Unsinn ist manchmal ganz hilfreich«, sagte sie. »Aber bitte. In Wahrheit ist ein alter Professor daran schuld, dass ich hier bin. Ein Professor fur Zoologie, den ich nie gesehen habe. Blumenhaus. Meine Mutter hat bei ihm studiert, ehe sie mich bekam. Blumenhaus war auf den Inseln gewesen. Er hat seinen Studenten damals so viel davon erzahlt, dass meine Mutter anfing, sich selbst dorthin zu wunschen. Professor Blumenhaus wollte auch wieder zuruck, hat sie gesagt. Er war einem seltenen Schmetterling auf der Spur, den es vielleicht nur auf den Galapagosinseln gibt.«
Casaflora lachte trocken. »Muss lange her sein«, sagte er. »Als sich die Leute noch Gedanken uber Schmetterlinge machten.«
»Ja«, sagte Marit leise. »Es ist wohl lange her.« Sie sprach noch immer spanisch. Sie wusste nicht, ob Jose zuhorte. Und uberhaupt wollte sie auch gar nicht deutsch sprechen. Am besten nie wieder, bis zu ihrem Tod. Der Tod war naturlich durch und durch deutsch, mit ihm wurde sie nicht spanisch sprechen. Aber sie hatte nicht vor, ihm so rasch zu begegnen. Nicht mehr. »Der Professor … er ist irgendwann aus der Stadt verschwunden«, fuhr sie fort. »Und meine Mutter stellte sich gern vor, er ware wirklich zuruckgekehrt zu den Inseln. Er war ihr einziges Vorbild. Das ist doch seltsam, nicht wahr, wo er ein Mann war und viel alter? Sie hatte so gern zu Ende studiert. Sie ware so gern auch ein Forscher geworden. Sie wollte zu den Inseln fahren und den Schmetterling finden, zusammen mit dem Professor. Es war ein Traum. Sie hatte so viele Traume …« Ihre Stimme verlor sich in der Dunkelheit.
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