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Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia - Страница 13


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Jonathan nickte stumm.

»Na«, sagte er, »es ist auch fur mich die erste Tour auf einem so kleinen Schiff. Und fur Oskar.« Er schuttelte etwas Kleines, Braunes aus seinem Armel, das emport quiekte. »Nur bei Carmen ware ich mir nicht so sicher.«

»Wenn ihr trotzdem mitkommen wollt …«, sagte Jose. Niemand widersprach. »Dann gehe ich jetzt ein letztes Mal an Land«, fuhr Jose fort. »Von hier aus kann man vermutlich nach Santiago schwimmen.« Er verschwand unter Deck, und als er diesmal wieder auftauchte, trug er ein Gewehr uber der Schulter. Jonathan wich zuruck.

»Was willst du denn damit?«, fragte er.

»Einen Vogel schie?en«, antwortete Jose. »Oder ein wildes Schwein. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, frisches Fleisch an Bord zu nehmen. Vielleicht finden wir auf Marchena keins.« Er legte das Gewehr an und zielte auf einen Punkt am Horizont. »Eines Tages«, sagte er, »ziehe ich nach Europa und knalle die Deutschen alle ab.«

»Warum?«, fragte Jonathan zogernd.

Jose bewegte das Gewehr und auf einmal zielte sein Lauf auf Jonathan. Er spurte, wie sich alles in ihm verkrampfte. Wusste Jose, wer er war?

»Weil ich sie hasse«, sagte Jose. »Ich hasse alle Deutschen. Alle.«

Hatte er seinen Akzent erkannt? Jonathan uberlegte, was er tun wurde, wenn Jose abdruckte. Nichts vermutlich. Fallen. Vielleicht schreien.

»Sie haben den Krieg gemacht«, fuhr Jose fort. »Sie sind schuld, dass deine Mutter tot ist und deine Schwester. Hasst du sie nicht?«

»Ich … nein … doch.« Jonathan merkte, wie sehr seine Stimme zitterte. Jose wusste gar nichts. Gar nichts. Er spielte nur mit seinem dummen Gewehr. Aber wenn du jemanden abknallen willst, magst du den Krieg, wollte er sagen. Du bist ja wie sie! Er sagte es nicht. Er sagte: »Dann geh und schie? deinen Vogel. Aber beeil dich. Vielleicht kommt die Roosevelt noch einmal zuruck, um nach uns zu suchen. Weshalb auch immer.«

»Ach was«, sagte Jose, »die ist langst weit weg. Warte hier auf mich. Lass die Mariposa nicht allein, horst du? Auf keinen Fall. Ich bin bald wieder da.«

Kurz darauf beobachtete Jonathan, wie Jose, das Gewehr mit einer Hand uber den Kopf haltend, ans Ufer schwamm. Als er dort ankam, winkte er. Mit dem Gewehr.

»Loco«, sagte er leise. »Ein Verruckter. Wenn auch nicht halb so verruckt wie die Idee, von Hamburg auf die Galapagosinseln auszuwandern.« Aber vielleicht, dachte er, war auch sein Onkel nicht so verruckt gewesen, wie alle geglaubt hatten. Vielleicht hatte seine Idee, auszuwandern, uberhaupt nichts mit Jonathans Mutter und ihrem Traum zu tun gehabt.

Thomas Waterweg war durch und durch deutsch. Ein Nationalsozialist. Einer von jenen, die glaubten, die Welt gehorte den Deutschen, den blonden blauaugigen Deutschen und niemandem sonst. »Eine lacherlich dumme Idee«, hatte Jonathans Mutter gesagt, »so lacherlich, dass man kaum glauben kann, dass ein Weltkrieg daraus entstanden ist.«…Aber das hatte sie nur leise gesagt und auch nur zu Hause, wo niemand sie horte. Thomas, ihr Bruder, hatte den Krieg bisher von seinem Schreibtisch aus mitverfolgt. Er hatte Kontakte. So gute Kontakte, dass er nicht eingezogen worden war.

Und hier hatten die Amerikaner also eine Militarbasis auf Baltra, von der aus sie den Panamakanal kontrollierten. Es gab sicherlich eine Menge Leute in Deutschland, die genauere Informationen uber jene Militarbasis durchaus interessant gefunden hatten.

Nein, dachte Jonathan, sein Onkel hatte den sicheren Schreibtisch nicht verlassen, um aus einer Laune heraus quer uber den Pazifik zu fahren. Er war gekommen, um auf Baltra fur die Deutschen zu spionieren.

Jonathan streichelte gedankenverloren den Pinguin Oskar, der den Kopf vertrauensvoll in seine Hand gelegt hatte. »Und vermutlich war es praktisch, auf der Reise einen netten kleinen Jungen bei sich zu haben, zur Tarnung«, sagte er zu Oskar, auf Deutsch. Pinguine verstanden alle Sprachen der Welt, das war bekannt. »Wer verdachtigt einen Onkel, der mit einem netten kleinen Jungen und einem englischen Pass aus Europa flieht? Nun, der nette kleine Junge ist ihm abhandengekommen. Er ist unterwegs mit einem, der alle Deutschen hasst, auf dem Schiff eines Toten, in dessen Kajute plotzlich Pistolen auftauchen.«

In diesem Moment tauchte noch etwas auf. Es tauchte in einer der Lucken zwischen den Felsen auf, durch die Jonathan hinaus aufs Meer sehen konnte, und es war ein Schiff. Ein grauer Militarsegler. Die Roosevelt war zuruckgekommen. Er beobachtete mit rasendem Puls, wie sie naher kam, wie sie sich der Kuste naherte – und atmete auf, als sie einige Hundert Meter entfernt vor einem anderen Felsen ihre Fahrt stoppte, einem flachen Felsen, uber den man die Insel trockenen Fu?es erreichen konnte. Dort machten die Manner das Schiff mit einem dicken Tau fest, das sie um ein Stuck des Felsens schlangen: Sie hatten einen naturlichen Hafen gefunden. Aber sie waren nicht gekommen, weil sie einen besonders hubschen Hafen gesucht hatten. Sie waren gekommen, weil sie etwas anderes suchten. Etwas, das ihnen entkommen war.

Er sah ihre Uniformen, und er fragte sich nicht zum ersten Mal, warum Manner in amerikanischer Uniform hinter Jose her waren: Jose, der die Amerikaner vergotterte, der so gern mit ihnen in den Krieg gezogen ware … Er sah, wie sie zielstrebig die Kuste hinaufgingen. Uber ihren Schultern lagen Gewehre.

Jonathan war sich jetzt sicher, dass sie die Mariposa in ihrem Versteck nicht gesehen hatten. Aber vielleicht hatten sie etwas anderes gesehen. Vielleicht hatten sie Jose gesehen, wie er im Unterholz verschwunden war.

Die Hitze im Inneren der Insel umgab Jose wie ein lebendiges Wesen. Sie waberte zwischen den niedrigen Buschen und Farnen umher, schloss ihn ein und setzte sich auf ungewohnte Weise in seine Lungen. Schon zwei Tage auf dem Wasser hatten ihn die Hitze beinahe vergessen lassen.

Wahrend der letzten Monate hatte sich die graue Geisterlandschaft der Kusten in einen gro?blattrigen Streifen niedrigen Gruns verwandelt, aber es wuchsen nur wenige Baume darin, die Schatten spendeten. Er sah zum Himmel. Der Regen blieb seit zwei Wochen aus.

Die Wolken, die in den letzten Nachten das Mondlicht gestohlen hatten, waren weitergezogen, ohne abzuregnen. Jose dachte an die Farm zu Hause und an Mama Carmelita, die ebenfalls auf den Regen wartete. Dann dachte er an die Wasserkanister auf der Mariposa. Wenn es nicht mehr regnete, wurde das Wasser nicht ausreichen. Nicht fur zwei Leute …

Es raschelte vor ihm im Gebusch und er blieb stehen. Ein Leguan tauchte aus den Strauchern auf, reckte den gelben Kopf und sah Jose erwartungsvoll an, wie ein Hund, der auf ein Stuck Wurst hoffte. Jose lachelte erleichtert. »Ich habe nichts fur dich«, sagte er. »Ich kenne euch Bettler von zu Hause. Verschwinde!«

In diesem Moment raschelte es wieder, naher diesmal, und eine panische Explosion aus bunten Federn brach neben Jose aus dem Unterholz. Etwas war durch den Wald unterwegs, etwas Gro?es, das die anderen Tiere erschreckte. Jose sah sich um. Er musste ein ganzes Stuck gestiegen sein. Hier gab es mehr Grun, lange Bartflechten bedeckten die Guavenbaume. Zwischen den bemoosten Stammen raschelte es noch einmal. Was da raschelte, befand sich hinter einem dichten Gestrupp voll wei?er Bluten. »Schicksalsbaume« hie?en die Pflanzen bei den Leuten von den Inseln. Jose nahm das Gewehr von der Schulter.

Vorsichtig teilte er die Zweige und pirschte sich hindurch, das Gewehr im Anschlag. Was da vor ihm Aste brach und Blatter zertrat, besa? die ungefahre Gro?e und Hohe eines Menschen. War einer der Siedler von der anderen Seite der Insel hier im Wald unterwegs?

Nein, sagte sich Jose, vermutlich handelte es sich um ein Tier. Ein Tier, das er schie?en konnte. Er schlupfte unter den letzten wei? bluhenden Zweigen hindurch und stand auf einer Lichtung. Schwarze Lavafelsen saumten sie, uberwuchert von den grunen Ranken und den faustgro?en duftenden Bluten einer Passionsblume. Und mitten auf der Lichtung stand das, was geraschelt hatte, und sah Jose entgegen.

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